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Persönliche Anhörung im behördlichen Asylverfahren unterlassen: Verschiedene Möglichkeiten für asylgerichtliches Verfahren

08.04.2021

Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) es im behördlichen Asylverfahren unterlassen, den Antragsteller persönlich anzuhören, darf das Gericht im Klageverfahren die Anhörung selbst unter Wahrung der gebotenen Vertraulichkeit nachholen, dem BAMF die Gelegenheit belassen, die unterlassene Anhörung nachzuholen, oder den angefochtenen Unzulässigkeitsbescheid aufheben, damit das BAMF nach fehlerfreiem Verfahren eine neuerliche Entscheidung über den Asylantrag trifft. Bei der Betätigung seines weiten Verfahrensermessens hat das Gericht die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere die bisherige Verfahrensdauer und das Ausmaß der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung zu berücksichtigen. Dies hält das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) fest.

Der Kläger, dem in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und ein bis Februar 2015 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt worden war, wendet sich gegen die ohne vorherige persönliche Anhörung getroffene Feststellung des BAMF, dass ihm aufgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Klage und Berufung waren erfolglos. Auf Vorlage des BVerwG hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass ein behördlicher Verstoß gegen das unionsrechtliche Gebot, den Flüchtling vor einer Unzulässigkeitsentscheidung persönlich anzuhören, nicht allein deshalb nach § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) als unbeachtlich erachtet werden darf, weil es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und Äußerungsmöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren bestehen. Der Verfahrensfehler führe vielmehr zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde, soweit der Flüchtling nicht im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Artikel 15 Richtlinie 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien, unter anderem angemessene Vertraulichkeit, gewährleistenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände hat vortragen können.

In Umsetzung dieser Grundsätze hat das BVerwG auf die Revision des Klägers den Bescheid des BAMF aufgehoben. Die Feststellungsentscheidung könne nicht in eine Unzulässigkeitsentscheidung wegen anderweitiger Flüchtlingsanerkennung umgedeutet werden. Denn der Kläger, der im behördlichen Verfahren nicht zur Unzulässigkeitsentscheidung angehört worden war, sei in den Vorinstanzen hier allein durch die Möglichkeit, sich im gerichtlichen Verfahren zu äußern, und die bloße Erörterung der Sach- und Rechtslage in öffentlicher Verhandlung nicht unter Bedingungen persönlich angehört worden, die nach der Rechtsprechung des EuGH den Anforderungen des Unionsrechts genügen.

Mit Blick auf den Regelungsgedanken des § 46 VwVfG könne in den Tatsacheninstanzen das Gericht zwar den Antragsteller unter Wahrung der gemäß Artikels 15 RL 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien selbst zu den Gründen anhören, die aus seiner Sicht einer Unzulässigkeit des Asylantrages entgegenstehen. Das Gericht müsse dann aber auch die nach Artikel 15 Absatz 2 RL 2013/32/EU zu gewährleistende angemessene Vertraulichkeit wahren (etwa durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Anhörung), sofern der Antragsteller nicht freiwillig, ausdrücklich und eindeutig auf die Vertraulichkeit verzichtet. Die Tatsache einer gesonderten persönlichen Anhörung und der Umstand, dass diese unter Beachtung der grundlegenden Bedingungen und Garantien des Artikels 15 RL 2013/32/EU durchgeführt worden ist, müssten sich dann auch aus der Sitzungs- beziehungsweise Terminniederschrift ergeben.

Das Gericht sei zu dieser Verfahrensweise prozessrechtlich nicht verpflichtet, sondern nur mit Blick auf seine allgemeine Prozessförderungspflicht und den aus § 46 VwVfG folgenden Rechtsgedanken berechtigt. Soweit – wie hier – auch die Beklagte eine persönliche Anhörung während des gerichtlichen Verfahrens nicht aus eigenem Entschluss oder auf Hinweis des Gerichts nachgeholt und nach erkennbarer Überprüfung des angegriffenen Unzulässigkeitsbescheides an diesem festgehalten hat, sei der Unzulässigkeitsbescheid mit der Folge aufzuheben, dass das BAMF– nach nunmehr unionsrechtskonformer Anhörung – erneut über den Asylantrag zu entscheiden hat.

Der von dem Kläger geltend gemachte, von der Beklagten bestrittene Übergang der Verantwortung für die Ausstellung des Reiseausweises für Flüchtlinge auf die Bundesrepublik Deutschland nach völkerrechtlichen Abkommen lasse das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nicht entfallen und berühre auch bei unterstelltem Verantwortungsübergang nicht deren Rechtmäßigkeit. Denn im Fall eines solchen Verantwortungsübergangs gelte der in dem Erststaat anerkannte Flüchtling allein kraft der Geltung der ausländischen Statusentscheidung im Bundesgebiet als Flüchtling. Er habe daher keinen Anspruch auf neuerliche Zuerkennung des Flüchtlingsstatus durch das Bundesamt.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.03.2021, BVerwG 1 C 41.20

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