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Memminger Fischertag: Frau erstreitet Teilnahme am «Ausfischen des Stadtbachs»

29.07.2021

Eine Frau hat erreicht, dass sie in die Vereinsuntergruppe der Memminger Stadtbachfischer aufzunehmen ist und darf beim jährlichen Ausfischen des Stadtbachs teilnehmen. Das Landgericht (LG) Memmingen entschied in zweiter Instanz, der Fischertagsverein Memmingen e.V. dürfe die Frau nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts ausschließen.

Der Verein sei aufgrund der ihm zustehenden, durch Artikel 9 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich geschützten Vereinsautonomie zwar grundsätzlich frei bei der Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft sowie bei der Aufnahme neuer Mitglieder im Verein und in der Untergruppe der Stadtbachfischer, so das LG. Deshalb komme ein Aufnahmeanspruch nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen in Betracht.

Diese Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Klägerin einen Aufnahmeanspruch einfordern kann, liegen nach Auffassung des LG deswegen nicht vor, weil kein wesentliches eigenes Interesse der bereits langjährig im Verein aufgenommenen Klägerin verletzt ist. Die Klägerin könne in vielfältiger Weise am sozialen Leben in der Stadt Memmingen, insbesondere am Vereinsleben und am Fischertag teilnehmen. Durch die Nichtzulassung am Ausfischen erleide sie keinen gravierenden Nachteil. Das allgemeinpolitische Ziel der Klägerin, Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern durchzusetzen, sei kein ausreichendes eigenes Interesse der Klägerin. Aus denselben Gründen bestehe auch kein Aufnahmeanspruch der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Ein Aufnahmeanspruch der Klägerin ergibt sich nach Auffassung des LG aber wegen eines Verstoßes des Fischertagsvereins gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung. Der Verein behandele weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche, ohne vereinsrechtlich dafür einen sachlichen Grund zu besitzen. Ein Sonderrecht für Männer sei vereinsrechtlich nur zulässig, sofern diese Ungleichbehandlung vom Vereinszweck gedeckt ist.

Nach der Satzung sei Zweck des Vereins der Dienst für Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz. Dieser Zweck werde insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und Gestaltung des Fischertages und die Pflege des Stadtbaches sowie des heimischen Brauchtums. Im Kern gehe es somit insbesondere um das Erinnern an die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens, nicht aber darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern. Dieser festgeschriebene Vereinszweck erfordere es nicht, Frauen vom eigentlichen Ausfischen auszuschließen und lediglich als "Kübelfrauen" neben dem Bach zuzulassen.

Zudem habe sich die tatsächlich seit langem gelebte Vereinspraxis jedenfalls von einer absolut getreuen Nachbildung historischen Geschehens in den vergangenen Jahren faktisch entfernt, merkt das LG an. Neben das Erinnern an Traditionen sei gleichermaßen der Spaßfaktor getreten. Das originalgetreue Nachbilden einer vermeintlichen Tradition stehe damit jedenfalls auch faktisch nicht mehr im Vordergrund des praktischen Vereinslebens.

Die Tradition sei unstreitig bereits in mehrfacher Weise aufgeweicht worden, indem beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme für Männer herabgesetzt worden seien. Das Teilnahmerecht erfordere nicht mehr wie früher einen mindestens zehn Jahre dauernden Wohnsitz, sondern jetzt nur noch fünf Jahre. Nach einer fünfjährigen Zugehörigkeit zur Untergruppe der Stadtbachfischer entfalle das Teilnahmerecht auch nicht mehr nach einem Wegzug aus Memmingen.

Dass der Verein nicht sklavisch an vermeintlichen Traditionen festhält, zeige sich insbesondere auch daran, dass bei den Stadtbachfischern keine traditionelle historische Kleidung getragen werden muss und bei dem (vom Verein ebenfalls ausgerichteten) Wallensteinfest Frauen ohne Weiteres in Männerkleidung auch traditionelle Männerrollen wie diejenigen von Soldaten übernehmen.

Das LG konnte bei dieser Sach- und Rechtslage, bei der ein Aufnahmeanspruch der Klägerin schon aus vereinsrechtlichen Gründen besteht, offenlassen, ob das verfassungsrechtliche Gebot von Artikel 3 Absatz 2 und Absatz 3 GG, das heißt für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, auch zwischen den Parteien, somit im Privatrecht, im Wege einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte anzuwenden ist.

Es hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und zur Fortbildung des Rechts die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Landgericht Memmingen, PM vom 28.07.2021

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