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Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren: EuGH soll Sanktionssystem überprüfen

12.05.2023

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Verfahren ausgesetzt, um den Europäischen Gerichtshof (EuGH) das Sanktionssystems für Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren überprüfen zu lassen.

Das in § 17 Absatz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für die Ermittlung der erforderlichen personellen Betriebsstärke maßgebliche Tatbestandsmerkmal "in der Regel" enthält weder eine Stichtagsregelung noch verlangt es eine Durchschnittsbetrachtung. Es stellt vielmehr auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer ab, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden Betriebs kennzeichnend ist. Hierzu bedarf es eines Rückblicks auf den bisherigen Personalbestand und gegebenenfalls – sofern keine Betriebsstilllegung erfolgt – einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Zeiten eines außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsgangs sind nicht zu berücksichtigen. Das ist durch die Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt.

Hat ein Arbeitgeber die Betriebsgröße falsch beurteilt und deshalb keine Massenentlassungsanzeige erstattet, ist laut BAG derzeit jedoch unklar, ob dies – wie vom BAG in ständiger Rechtsprechung seit 2012 angenommen – weiterhin zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Das vom BAG entwickelte Sanktionssystem stehe möglicherweise nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes, wie er durch die Massenentlassungsrichtlinie vermittelt wird, und könnte darum unverhältnismäßig sein, befürchtet das BAG. Es hat daher das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-134/22 (Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 27.01.2022, 6 AZR 155/21 (A)) ausgesetzt.

Im zugrunde liegenden Fall war der Kläger bei einem Großhandels- und Wartungsunternehmen tätig, das bis September 2020 25 Arbeitnehmer beschäftigte. Ein Betriebsrat war nicht gebildet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.12.2020 legte der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte den Betrieb still und kündigte innerhalb von 30 Tagen mindestens zehn Arbeitnehmern, darunter dem Kläger, ohne zuvor eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Absatz 1 KSchG erstattet zu haben. Er meinte, einer entsprechenden Anzeige habe es nicht bedurft. Das Tatbestandsmerkmal "in der Regel" stelle auf den Zeitpunkt der Entlassung und damit auf einen Stichtag ab. Die Rechtsprechung des BAG zur Ermittlung der personellen Betriebsstärke sei unionsrechtswidrig. Zum maßgeblichen Stichtag seien bei der Schuldnerin aufgrund von Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung aufgrund der fehlenden Massenentlassungsanzeige für unwirksam gehalten und der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die nach § 17 Absatz 1 KSchG maßgebliche Betriebsgröße war auch im Zeitpunkt der vom Beklagten erklärten Kündigungen noch erreicht. Dieser hätte daher eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen. Vor dem Hintergrund der Erwägungen des Generalanwalts in seinen am 30.03.2023 in der Rechtssache C-134/22 verkündeten Schlussanträgen zum Verhältnis von Anzeige- und Konsultationsverfahren zueinander hat das BAG nach Anhörung der Parteien den vorliegenden Rechtsstreit jedoch bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt, um auf der rechtlichen Grundlage der zu erwartenden Entscheidung die Sanktionen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 17 Absatz 1, Absatz 3 KSchG bestimmen zu können.

Das BAG hat eigenen Angaben zufolge in drei weiteren Verfahren (6 AZR 482/21, 6 AZR 115/22 und 6 AZR 121/22), in denen Fehler im Massenentlassungsverfahren geltend gemacht werden, ebenfalls Aussetzungen vorgenommen.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.05.2023, 6 AZR 157/22 (A)

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