Mitglied werden
Suche
Vor Ort
Presse
Menü

Veränderung pro Sekunde

Login
Menü schließen

Menü schließen

Sie sind hier:  Startseite  Bayern  Newsticker-Archiv    Mietzahlungspflicht bei coronabedingter ...

Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung: Einzelfall entscheidend

13.01.2022

Ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet sein – muss dies aber nicht. Laut Bundesgerichtshof (BGH) kommt es stets auf den konkreten Einzelfall an.

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelstextilgeschäfts gemietet. Aufgrund einer coronabedingten Allgemeinverfügung musste die Beklagte ihr Geschäft im Mietobjekt vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 schließen. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete sie für den Monat April 2020 keine Miete. Die Klägerin begehrt Zahlung der vollen Miete.

Hierzu hat der BGH entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht kommt. Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, sei nicht durch die für die Zeit vom 01.04.2020 bis zum 30.09.2022 geltende Vorschrift des Artikel 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift habe nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel und sage nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aus.

Die auf den Allgemeinverfügungen beruhende Betriebsschließung habe jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinne des § 536 Absatz 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb eine Minderung der Miete nach § 536 Absatz 1 BGB ausscheide. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, könne dies zwar einen Mangel im Sinne des § 536 Absatz 1 Satz 1 BGB begründen, so der BGH. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht.

Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung nicht. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung werde jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt habe daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung gestanden.

Das Vorliegen eines Mangels im Sinne des § 536 Absatz 1 Satz 1 BGB ergebe sich auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs". Die Beklagte konnte laut BGH nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Fall einer Pandemie übernehmen wollte.

Dem Mieter gewerblich genutzter Räume könne jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Absatz 1 BGB zustehen. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 sei im vorliegenden Fall die so genannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter verstehe man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien sei dadurch schwerwiegend gestört gewesen, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 schließen musste.

Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Absatz 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt ist, spricht laut BGH auch die neu geschaffene Vorschrift des Artikel 240 § 7 EGBGB. Danach werde vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Absatz 1 BGB berechtige jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung, fährt der BGH fort. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhten nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie seien vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet laut BGH aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedürfe auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Absatz 1 BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb komme eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese würden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen könne auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei könnten auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, blieben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei nicht erforderlich. Schließlich seien bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Der BGH hat die Sache im konkreten Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese müsse nun prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21

Mit Freunden teilen