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Vollverzinsung: Verstößt (derzeit) nicht gegen Unionsrecht

28.08.2024

Die Vollverzinsungsregeln der § 233a und § 238 Absatz 1a Abgabenordnung (AO) bilden in Bezug auf den Beginn des Zinslaufs und die Zinshöhe die Lage an den Zinsmärkten (jedenfalls noch) realitätsgerecht ab. Die Vollverzinsung verstößt nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg auch nicht gegen die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität.

Die Klägerin reichte am 04.03.2020 eine Umsatzsteuererklärung für 2019 ein. Das beklagte Finanzamt stimmte dieser am 09.08.2022 zu und setzte antragsgemäß einen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch von rund 2.100 Euro fest. Die Zinsfestsetzung erfolgte zunächst mit null Euro. Mit Änderungsbescheid vom 13.12.2022 wurde die Zinsfestsetzung nachgeholt und für den Zeitraum vom 01.10.2021 bis zum 12.08.2022 (= 300 Zinstage zu 1,8 Prozent pro Jahr) Erstattungszinsen nach § 233a AO in Höhe von 32 Euro festgesetzt.

Gegen die Zinsfestsetzung hat die Klägerin geklagt. Sie meint, dass ihr aus europarechtlichen Gründen eine höhere Zinserstattung zustehe. Das Unionsrecht sei dahin auszulegen, dass sie der Praxis eines Mitgliedstaates entgegenstünden, Zinsen nach einem Zinssatz zu berechnen, der niedriger sei als der, den ein Steuerpflichtiger zahlen müsste, um ein Darlehen dieses Betrages aufzunehmen. Es sei daher bei der Bemessung des Zinssatzes für von der deutschen Finanzbehörde zu leistende Erstattungszinsen vom Zinssatz auszugehen, den der Steuerpflichtige für die Aufnahme eines ungesicherten Konsumentenkredites hätte aufwenden müssen.

Dieser Auffassung folgte das FG nicht und wies die Klage ab. Die Zinsfestsetzung zur Umsatzsteuer 2019 sei im Wesentlichen rechtmäßig:

Der Zinslauf beginne für den Besteuerungszeitraum 2019 nach § 233a Absatz 2 Satz 1 AO für Erstattungen des Steuerpflichtigen als auch für die von ihm zu entrichtenden Steuernachzahlungen am 01.10.2021. Die Verlängerung von 15 Monaten um sechs Monate auf 21 Monate habe der Gesetzgeber mit der um sechs Monate verlängerten Erklärungsfrist aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie als besonderer singulärer Sondersituation begründet. Gemäß § 238 Absatz 1a AO betrügen die Zinsen ab 01.01.2019 für jeden Monat 0,15 Prozent, das heißt 1,8 Prozent für jedes Jahr. Danach habe das Finanzamt die Zinsen zur Umsatzsteuer 2019 durch Bescheid vom 13.12.2022 zutreffend in Höhe von 32 Euro festgesetzt.

Die Klägerin berufe sich auf Artikel 22, 19, 26 und 27 der EU-Richtlinie 2008/9 EG vom 12.02.2008. Diese regele allein die Verzinsung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, wenn der Steuerpflichtige im EU-Ausland lebt. Für die im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Klägerin sei jedoch ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet. Nach Artikel 1 sei die Richtlinie nur auf nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige, die zusätzlich noch die Voraussetzungen des Artikel 3 erfüllen müssen, anzuwenden.

Entgegen den Ausführungen der Klägerin lasse sich weder ein höherer Zinssatz noch ein früherer Beginn des Zinslaufes aus Artikel 183 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Verbindung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 23.04.2020, C-13/18 und C-126/18), ableiten.

§§ 233a und 238 AO entsprächen den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität. Die Normen seien nicht ungünstiger als bei ähnlichen Forderungen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind. Sie machten auch nicht die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich.

§ 233a AO liege das Prinzip der Vollverzinsung zu Grunde. Steuernachforderungen und -erstattungen würden, was den Beginn des Zinslaufs sowie die Zinshöhe nach § 238 AO anbelangt, gleichbehandelt, fährt das FG fort. Der Zinssatz werde pauschal bemessen. Dies sei unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Grenzüberschreitende Sachverhalte würden nicht ungünstiger behandelt als solche, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind.

Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) das Prinzip der Vollverzinsung mit einem starren, gleichen Zinssatz für Erstattungs- und Nachzahlungszinsen als verfassungsgemäß erachtet. Sachgerecht sei auch, den Beginn des Zinslaufs nach § 233a Absatz 2 AO an den Ablauf einer Karenzzeit zu knüpfen. Allerdings sei ein Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent (= sechs Prozent pro Jahr) für in das Jahr 2014 fallende Veranlagungszeiträume nicht mehr erforderlich, die Grenzen zulässiger Typisierung würden überschritten.

Nach Würdigung dieser Maßstäbe erachte das FG die Bemessung des Zinssatzes im Jahr 2019 für die Umsatzsteuerfestsetzung und Umsatzsteuererstattung der Klägerin mit 1,8 Prozent pro Jahr als verfassungsgemäß und mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz und Effektivität vereinbar. Die Zinshöhe sei nicht geeignet, die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich zu machen.

Das FG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wurde Beschwerde eingelegt, die beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen V B 10/24 geführt wird.

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 08.02.2024, 12 K 1476/23, nicht rechtskräftig

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