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Urteil in NSU-Verfahren: Auch hinsichtlich André E. und damit insgesamt rechtskräftig

16.12.2021

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im NSU-Prozess das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München gegen André E. bestätigt. Damit ist das Urteil im NSU-Prozess nun insgesamt rechtskräftig und der Mammutprozess abgeschlossen.

Am 11.07.2018 hatte das OLG München André E. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von vier weiteren Vorwürfen – der Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit Herbeiführen einer schweren Sprengstoffexplosion, der zweifachen Beihilfe zum Raub sowie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – hatte es ihn freigesprochen.

Nach den vom OLG getroffenen Feststellungen verschaffte der Angeklagte der aus Böhnhardt, Mundlos und der – mittlerweile rechtskräftig verurteilten – Mitangeklagten Beate Z. bestehenden terroristischen Vereinigung NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund") in den Jahren 2009, 2010 und 2011 jeweils zwei für ein Jahr gültige Bahncards der Deutschen Bahn, die auf ihn und seine Ehefrau ausgestellt, indes mit Lichtbildern von Böhnhardt und Z. versehen waren. Der Angeklagte hielt es zu diesen Zeitpunkten für möglich und nahm es hin, dass sich das im Untergrund lebende Trio zu einer Vereinigung verbunden hatte, deren Zwecke und Tätigkeit auf die Begehung von Tötungsdelikten und Sprengstoffanschlägen gerichtet waren. Wie ihm bekannt war, ermöglichten die Bahncards den beiden Begünstigten nicht nur, zu einem herabgesetzten Preis Bahnfahrkarten zu kaufen, sondern auch, sich behelfsmäßig unter falscher Identität auszuweisen.

Zum Teilfreispruch hat das OLG festgestellt, dass der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2003 zu einem Mordanschlag mit Sprengstoff in den Räumlichkeiten eines Lebensmittelgeschäfts in Köln sowie zu zwei Raubüberfällen auf eine Post- und eine Sparkassenfiliale in Chemnitz Hilfe leistete. Bei der Detonation der als Sprengfalle konstruierten Bombe wurde die 19-jährige Tochter des iranischen Geschäftsinhabers am Kopf massiv verletzt. Er selbst, seine Ehefrau und eine weitere Tochter zogen sich lediglich zufallsbedingt keine tödlichen oder gravierenden Verletzungen zu. In den drei Fällen hatte der Angeklagte das Wohnmobil, mit dem Böhnhardt und Mundlos zum jeweiligen Tatort hin- und von dort zurückfuhren, angemietet und ihnen übergeben. Ferner begleitete der Angeklagte im Jahr 2007 die Mitangeklagte zu einer in anderer Sache durchgeführten polizeilichen Zeugenvernehmung, in der sie sich als seine Ehefrau ausgab. Er bestätigte als Zeuge ihre Falschangaben. Zuvor hatte er Z. den Bundespersonalausweis seiner Ehefrau überlassen, mit dem sie sich bei ihrer Einvernahme auswies. Das OLG hat allerdings nicht die Überzeugung gewonnen, der Angeklagte habe bei den drei Wohnmobilübergaben damit gerechnet, dass er die Begehung eines Mordanschlags oder Raubüberfalls fördere, oder es bis zur Beendigung der polizeilichen Zeugenvernehmung der Mitangeklagten für möglich gehalten, er unterstütze eine Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Tötungsdelikte oder Sprengstoffanschläge zu begehen.

Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch der Generalbundesanwalt Revision eingelegt. Der Angeklagte hat sich gegen seine Verurteilung gewandt, der Generalbundesanwalt den Teilfreispruch angegriffen.

Der BGH hat beide Rechtsmittel verworfen. Die Verfahrensbeanstandung des Angeklagten habe mangels Tatsachenvortrags bereits den gesetzlichen Formanforderungen nicht genügt. Die materiellrechtliche Nachprüfung des schriftlichen Urteils, die auf die von beiden Revisionsführern erhobenen Sachrügen geboten war, habe, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler, soweit er freigesprochen worden ist, keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler ergeben. Im Zentrum dieser Prüfung stand laut BGH dabei die tatrichterliche Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Soweit der Generalbundesanwalt insoweit verschiedentlich weitere Erörterungen in den Gründen des angefochtenen Urteils vermisst und deshalb revisionsrechtlich beachtliche Lücken moniert hat, hat der BGH unter anderem die höchstrichterliche Rechtsprechung zum gebotenen Umfang der Darstellung der Beweiswürdigung bestätigt.

Zwar verpflichte § 261 Strafprozessordnung das Tatgericht, alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden Würdigung zu unterziehen; diese sei in den Urteilsgründen darzulegen. Die Darstellung könne jedoch ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden. Eine solche exzessive Erörterung würde die Möglichkeiten und Ressourcen der Gerichte übersteigen, ohne dass jemals absolute Vollständigkeit erreicht werden könnte. Sie sei daher von Rechts wegen nicht zu verlangen. Ausreichend sei die Angabe des für die Entscheidung Wesentlichen. Die Urteilsgründe müssten deutlich machen, dass das Tatgericht naheliegende erhebliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unvertretbar gewertet hat. Aus einzelnen tatsächlich bestehenden oder denkbaren Lücken der ausdrücklichen Erörterung könne nicht abgeleitet werden, das Tatgericht habe nach den sonstigen Urteilsgründen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht. Eine revisionsrechtlich beachtliche Lücke liege vielmehr erst vor, wenn eine wesentliche Feststellung überhaupt nicht erörtert oder ein aus den Urteilsgründen ersichtliches bedeutsames Beweisergebnis übergangen wird.

Das Urteil des OLG München ist damit insgesamt rechtskräftig.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.12.2021, 3 StR 441/20

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