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Selbstbehalt in Gebäudeversicherung: Bei im Bereich des Sondereigentums eingetretenem Wasserschaden auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen

19.09.2022

Bei einem Leitungswasserschaden, der im räumlichen Bereich des Sondereigentums eingetreten ist, ist der im Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung – von allen Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu tragen. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Zur Anlage gehören die Wohnungen der Beklagten und die gewerbliche Einheit der Klägerin. Die WEG unterhält eine Gebäudeversicherung, die auch Leitungswasserschäden abdeckt. Der Versicherungsschutz besteht für das gesamte Gebäude. Es wird nicht zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum unterschieden.

In der Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Leitungen wiederholt Wasserschäden in den Wohnungen der Beklagten auf, die sich allein in 2018 auf rund 85.000 Euro beliefen. Die WEG macht deshalb bereits seit geraumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen geltend, das die Leitungen verlegt hat. Bislang ist die Praxis in der WEG so, dass die Verwalterin bei einem Wasserschaden ein Unternehmen mit der Schadensbeseitigung beauftragt und die Kosten vom Gemeinschaftskonto begleicht. Sie nimmt die Versicherung in Anspruch und legt die Kosten unter Abzug der Versicherungsleistung nach Miteigentumsanteilen um, und zwar auch insoweit, als die Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden sind. Aufgrund der Schadenshäufigkeit beträgt der in jedem Schadensfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen 7.500 Euro. Dies hat zur Folge, dass die Versicherung nur noch circa 25 Prozent der Schäden erstattet.

Gestützt auf die Behauptung, die Mängel an den Leitungen seien jeweils hinter den Absperreinrichtungen in den betroffenen Wohneinheiten aufgetreten, verlangt die Klägerin mit ihrer Beschlussersetzungsklage eine von der bisherigen Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts. Sie will erreichen, dass sie nicht aufgrund des im Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an den Kosten für die Beseitigung von Leitungs- und Folgeschäden beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich am Sondereigentum der Beklagten entstanden sind; auch verweist sie darauf, dass in ihrer Einheit bislang kein Schaden aufgetreten ist. Die Klage hatte in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg.

Auch die Revision der Klägerin hatte insoweit keinen Erfolg, als sich die Klägerin mit dem Antrag zu 1 gegen die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Verwaltungspraxis wendet. Anders verhält es sich im Hinblick auf den Antrag zu 2, der einen Anspruch der Klägerin auf die künftige Änderung des Kostenverteilungsschlüssels zum Gegenstand hat. Insoweit hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht (LG) zurückverwiesen.

Die für den Erfolg einer Beschlussersetzungsklage erforderliche Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer betreffend Antrag zu 1 sei gegeben, führt der BGH aus. Kommt es für die Beurteilung, ob eine Verwaltungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, – wie hier – auf eine umstrittene und höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage an, sei die WEG berechtigt, durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, welche Ansicht für die künftige Verwaltungspraxis maßgeblich sein soll. Dass der Rechtsstreit gegen das Unternehmen, das die Leitungen verlegt hatte, noch nicht abgeschlossen ist, lasse den Regelungsbedarf für die Beschlussersetzungsklage nicht entfallen. Hierauf müsse sich die Klägerin nicht verweisen lassen, zumal die Dauer des Verfahrens nicht absehbar sei, so der BGH.

Da die in der WEG derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts bei einem Leitungswasserschaden nach Miteigentumsanteilen rechtmäßig ist, könne die Klägerin nicht verlangen, dass ein ihrer Rechtsauffassung entsprechender Beschluss durch das Gericht ersetzt wird. Hierauf ziele der Antrag zu 1. Tritt in einer Wohnungseigentumsanlage aufgrund einer defekten Wasserleitung ein Schaden ein, sei ein von der WEG in der verbundenen Gebäudeversicherung vereinbarter Selbstbehalt, durch den der Versicherer einen bestimmten Teil des ansonsten versicherten Interesses nicht zu ersetzen hat, wie die Versicherungsprämie nach dem gesetzlichen beziehungsweise vereinbarten Verteilungsschlüssel zu verteilen.

Dies gilt laut BGH unabhängig davon, ob der Leitungswasserschaden an dem Gemeinschaftseigentum oder – ausschließlich oder teilweise – an dem Sondereigentum entstanden ist. Zwar stelle nach versicherungsrechtlichen Maßstäben die Vereinbarung eines Selbstbehalts im Versicherungsvertrag, bei dem der Versicherer einen bestimmten Betrag des versicherten Schadens nicht ersetzen muss, einen Fall der bewussten Unterversicherung dar. Es würde jedoch der Interessenlage der Wohnungseigentümer bei Abschluss einer verbundenen Gebäudeversicherung nicht gerecht, wenn der geschädigte Sondereigentümer den Selbstbehalt allein tragen müsste.

Die Entscheidung für einen Selbstbehalt im Versicherungsvertrag sei regelmäßig damit verbunden, dass die Gemeinschaft als Versicherungsnehmerin eine herabgesetzte Prämie zu zahlen hat. Das sei für die Wohnungseigentümer wegen der damit einhergehenden Verringerung des Hausgeldes wirtschaftlich sinnvoll. Von sonstigen Fällen einer bewussten Unterversicherung unterscheide sich der Selbstbehalt wegen des typischerweise überschaubaren und genau festgelegten Risikos, erläutert der BGH. Grundlage der Entscheidung zugunsten eines Selbstbehalts sei dabei die Erwartung der Wohnungseigentümer, dass dieses durch Mehrheitsentscheidung eingegangene Risiko für alle vom Versicherungsumfang erfassten Sachen gemeinschaftlich getragen wird.

An dem Ergebnis ändere sich nichts, wenn der Versicherer – wie hier – die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses in einer schadengeneigten Wohnungseigentumsanlage von der Vereinbarung eines Selbstbehaltes abhängig macht. Auch dann komme die Vereinbarung eines Selbstbehalts allen Wohnungseigentümern zugute, und zwar deshalb, weil andernfalls deren Anspruch gegen die WEG auf angemessene Versicherung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Neuwert nicht erfüllt werden könnte. Im Ergebnis stelle daher der im Schadensfall in der verbundenen Gebäudeversicherung verbleibende Selbstbehalt bei wertender Betrachtung wie die Versicherungsprämie einen Teil der Gemeinschaftskosten gemäß § 16 Absatz 2 Satz 1 WEG dar.

Diese Überlegungen rechtfertigen allerdings nicht die Abweisung des Antrags zu 2. Mit diesem wolle die Klägerin erreichen, dass der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten getragen wird, während sie ihrerseits für den Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit aufkommen muss. Das ist laut BGH so zu verstehen, dass der derzeit maßgebliche Verteilungsschlüssel für die Zukunft geändert werden soll. Hierzu seien die Wohnungseigentümer gemäß § 16 Absatz 2 Satz 2 WEG befugt.

Ein Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf eine solche Beschlussfassung sei aber nur gegeben, wenn gemäß § 10 Absatz 2 WEG ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Da es insoweit an hinreichenden Feststellungen fehlt, hat der BGH die Sache an das LG zurückverwiesen. Für das weitere Verfahren hat er darauf hingewiesen, dass eine – im Vergleich zu den übrigen Eigentümern – unbillige Belastung der Klägerin in Betracht kommen könnte, wenn das (alleinige beziehungsweise jedenfalls überwiegende) Auftreten der Leitungswasserschäden im Bereich der Wohneinheiten auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes in den Wohneinheiten einerseits und der Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte. Nicht ausreichend wäre es demgegenüber, wenn die Ursache bei gleichen baulichen Verhältnissen in einem unterschiedlichen Nutzungsverhalten läge.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.09.2022, V ZR 69/21

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