Einkommensteuererklärung 2022: Zur Energiepreispauschale für Erwerbstätige
Corona-Infektion: Anerkennung als Arbeitsunfall nur bei Nachweis einer Infektion der Kontaktperson durch zeitnahen Corona-Test
Schuldscheindarlehen: Keine Pflicht zu Zahlung von "Negativzinsen"
Es gibt keine Pflicht zur Zahlung von "Negativzinsen" aus einem so genannten Schuldscheindarlehen. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) unter Verweis darauf entschieden, dass ein Zins niemals negativ werden könne.
Das klagende Land schloss mit der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank im März 2007 einen als "Darlehen" bezeichneten Vertrag, dessen Konditionen vom Kläger vorgegeben wurden. Nach Überweisung der "Darlehenssumme" stellte der Kläger der Beklagten fünf gleichlautende Schuldscheine über jeweils 20.000.000 Euro aus. Diese werden mit den Worten "[Der Kläger] (Darlehensschuldner) schuldet [der Beklagten] (Darlehensgläubiger) EUR 20.000.000 […]" eingeleitet und beinhalten im Anschluss unter anderem folgende Angaben: "1. Das Darlehen ist, […], bis zum Ablauf des der vereinbarten Fälligkeit des Kapitals vorhergehenden Tages, wie folgt jährlich zu verzinsen: Nominalzins 3-Monats-EURIBOR+0,1175 Prozent Höchstsatz 5,00 Prozent […] 3. Das Darlehen in Höhe des Nennbetrags ist zur Rückzahlung fällig am 08.03.2017. […] 6. Die Abtretung der Darlehensforderung ist nur im Ganzen zulässig. […] In jedem Fall wird der Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen nur auf ein Konto des Darlehensgläubigers in der Bundesrepublik Deutschland überweisen." Ab März 2016 errechnete sich unter Anwendung der Zinsformel nach Ziffer 1 ein negativer Wert, der bis zum Laufzeitende einen Betrag in Höhe von 158.159,75 Euro ergab.
Der Kläger meint, dass ihm die Beklagte ab dem Zeitpunkt, zu dem der Zinsaufschlag ("0,1175 Prozent") betragsmäßig hinter dem negativen Referenzzinssatz ("3-Monats-EURIBOR") zurückgeblieben war, die Zahlung von "Negativzinsen" schulde, weil in den Schuldscheinen zwar eine Zinsobergrenze ("5,00 Prozent"), aber keine Zinsuntergrenze vereinbart worden sei. Er begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 158.159,75 Euro nebst Verzugszinsen sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die Klage hatte letztlich keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass es bei einer unter Geltung des dispositiven Gesetzesrechts von § 488 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) getroffenen Zinsabrede, nach der eine Änderung des in Bezug genommenen Referenzzinssatzes zu einer automatischen Veränderung des Vertragszinses in dem durch einen Zinsaufschlag und eine Zinsobergrenze vorgegebenen Umfang führt, keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze bedarf, um bei einem Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung nominal negativer "Zinsen" an den Darlehensnehmer auszuschließen oder zu begrenzen.
Der Begriff "Zins" werde im Gesetz nicht definiert, sondern von der Privatrechtsordnung vorausgesetzt. Zins im Rechtssinne bedeute danach das für die Möglichkeit des Gebrauchs von zeitweilig überlassenem Kapital zu leistende Entgelt, das zeitabhängig, aber zugleich gewinn- und umsatzunabhängig berechnet wird. Nach dieser Definition könne ein Zins – weil ein Entgelt – nicht negativ werden. Im normativen Zusammenhang des § 488 Absatz 1 BGB bedeute dies, dass dem Zins eine definitorische Untergrenze bei null Prozent immanent ist, bei deren Erreichen die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung entfällt. Damit lasse sich keine Umkehrung des Zahlungsstroms vom Darlehensgeber an den Darlehensnehmer vereinbaren.
Nach dem für die rechtliche Einordnung maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses verbinde die Parteien ein gesetzestypischer Darlehensvertrag mit Zinsabrede. In dem Zusammenwirken zwischen dem variablen Zinssatz einerseits sowie einer Zinsobergrenze andererseits liegt laut BGH lediglich eine Regelung über die Höhe des Zinses im Rechtssinne, den der Darlehensnehmer nach § 488 Absatz 1 Satz 2 BGB als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zu zahlen hat. Aus der Ausstellung von Schuldscheinen könne nicht auf den Parteiwillen geschlossen werden, ein von dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Absatz 1 BGB abweichendes Pflichtenprogramm zu vereinbaren. Der äußeren Form der Vertragsgestaltung könne keine größere Bedeutung beigemessen werden als ihr nach dem Vertragsinhalt zukommt.
Unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Auslegungsgrundsätze sei die Zinsklausel in Ziffer 1 im Einklang mit dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Absatz 1 BGB dahin auszulegen, dass die Beklagte nicht zur Zahlung der rechnerisch ermittelten "Negativzinsen" verpflichtet ist. Das folgt laut BGH aus der Zusammenschau von Ziffer 1 mit der mit ihr inhaltlich zu einer Einheit verbundenen Einleitung und der Ziffer 6. Etwas anderes ergebe sich nicht aus dem Umstand, dass die Zinsklausel im Unterschied zu der Zinsobergrenze keine ausdrückliche Zinsuntergrenze enthält. Die unterbliebene ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruhe darauf, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen sind, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrages angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne. Das Äquivalenzprinzip könne im Rahmen der Vertragsauslegung nicht dazu herangezogen werden, um die Wertigkeit von Leistung und Gegenleistung neu zu bestimmen. Es sei deshalb ohne Belang, ob die Bank bei Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null ihre Gewinn- oder Refinanzierungsmarge ausweiten könnte, je weiter sich der Referenzzinssatz in den negativen Bereich entwickelt.
Diese Auslegung der Zinsklausel entspreche aus der objektiven Sicht der Parteien auch dem Verständnis redlicher und verständiger Vertragspartner in ihrer Eigenschaft als professionelle Marktteilnehmer. Die Vereinbarung eines bestimmten Referenzzinssatzes – wie hier des 3-Monats-EURIBOR – lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass sich die Bank kongruent zu diesem refinanziert. Die Refinanzierung der Bank sei in der Regel ohnehin nicht vom Erwartungshorizont des Kunden umfasst. Dabei sei es unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Auslegungsgrundsätze ohne Belang, ob nach der Zinsentwicklung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null während der Vertragslaufzeit für die Vertragsparteien vorherzusehen oder zumindest nicht auszuschließen war.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2023, XI ZR 544/21