Mitglied werden
Suche
Vor Ort
Presse
Menü

Veränderung pro Sekunde

Login
Menü schließen

Menü schließen

Sie sind hier:  Startseite  Bayern  Newsticker-Archiv    Nach Terroranschlag im Ausland: Keine Op...

Nach Terroranschlag im Ausland: Keine Opferentschädigung bei Nichtbeachtung der Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes

09.03.2021

Eine Opferentschädigung für Angriffe im Ausland ist dann unbillig und ausgeschlossen, wenn sich das Opfer über allgemeine Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes hinwegsetzt und ein erhöhtes Risiko eingeht. Dies stellt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg klar.

Die 37-jährige Klägerin ist deutsche Staatsangehörige, aber in der Türkei geboren. Während eines Erholungsurlaubes in Istanbul verbrachte sie den Silvesterabend 2016/2017 in einem der bekanntesten Nachtclubs auf der europäischen Seite von Istanbul, in dem es um etwa 1.15 Uhr zu einem Terroranschlag des Islamitischen Staates kam. Hierbei wurden 37 Menschen getötet. Die Klägerin erlitt Schnitt- und Fremdkörperverletzungen an den Kniegelenken und beiden Unterschenkeln sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Aus Bundesmitteln für Opfer terroristischer Straftaten erhielt sie eine pauschale Härteleistung von 5.000 Euro. Im dortigen Antrag beschrieb sie, dass sie sich zum Anschlagszeitpunkt im Nachtclub weiter hinten aufgehalten hätte. Nach den Schüssen hätte sie sich sofort auf den Boden gelegt; später sei sie von Sicherheitskräften gerettet worden. Vor der Tür hätten Scherben und Gläser gelegen, an denen sie sich verletzt habe.

Ihren Antrag vom November 2017 auf Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) lehnte das Land Baden-Württemberg ab, weil sich die Klägerin über die seinerzeitigen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes hinweggesetzt und damit selbst in Gefahr gebracht habe. Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Mit ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, es sei ein absurder und rechtlich unhaltbarer Gedanke, dass sich Menschen an Silvester zu Hause einschlössen und keine Festlichkeiten aufsuchten.

Das LSG bestätigt, dass der Klägerin keine Entschädigung nach dem OEG zusteht. Zwar sei sie bei dem Terroranschlag Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriffs geworden, bei dem sie einen Gesundheitsschaden erlitten habe. Ein Anspruch nach dem OEG sei allerdings aufgrund Unbilligkeit ausgeschlossen. Denn die Klägerin habe sich über die seinerzeitigen Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes dadurch hinweggesetzt, dass sie in der Silvesternacht den betreffenden Nachtclub in Istanbul aufgesucht habe, der ein Treffpunkt für prominente und zahlungskräftige ausländische Touristen gewesen sei.

Nach der seinerzeitigen Reisewarnung habe nach dem Putschversuch in allen Teilen der Türkei grundsätzlich eine terroristische Gefährdung, insbesondere in den großen Metropolen, bestanden; Reisende hätten Menschenansammlungen und Orte, an denen sich regelmäßig viele Ausländer aufhielten, möglichst meiden sollen. Da sich die Klägerin hierüber aus freier Entscheidung hinweggesetzt habe, müsse sie die Konsequenzen hieraus im Sinne einer Eigenverantwortung tragen. Unmittelbare Hilfe wie die Entschädigung der Bundesregierung oder ärztliche Behandlung habe sie ohnehin direkt nach der Tat erhalten. Die begehrte Entschädigung nach dem OEG gehe darüber hinaus.

Im Übrigen verfüge die Türkei auch über ein staatliches Entschädigungssystem, sodass diese Ansprüche vorrangig gegenüber Ansprüchen nach dem OEG sein dürften, merkt das LSG an.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2021, L 6 VG 2770/20

Mit Freunden teilen