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Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Kündigung bei Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Impfunfähigkeitsbescheinigung?

28.02.2023

Die Vorlage einer aus dem Internet ausgedruckten ärztlichen "Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit" durch einen Arbeitnehmer kann die fristlose Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers rechtfertigen. Dies hat die vierte Kammer des Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. Nicht der gleichen Meinung ist indes dessen fünfte Kammer. Diese sieht in der Vorlage einer solchen Bescheinigung schon keinen "an sich" geeigneten Grund für eine außerordentliche Kündigung. Letztlich wird nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) befinden, da gegen beide LAG-Entscheidungen Revision eingelegt wurde.

Die Klägerinnen sind bei der beklagten Klinik seit 1988 beziehungsweise 2001 als Pflegeassistentin beziehungsweise Krankenschwester beschäftigt und tariflich ordentlich unkündbar. Die Arbeitgeberin wollte die einrichtungsbezogene Impfpflicht umsetzen und wies ihre Mitarbeiter an, den Impf- beziehungsweise Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen. Die Klägerinnen haben daraufhin jeweils ein Schriftstück vorgelegt, das eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland ausweist. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine Besprechung mit der Ärztin fand weder analog noch digital statt Die Beklagte hat das Gesundheitsamt über die Vorgänge informiert und außerdem den Klägerinnen im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.08.2022/31.07.2022 gekündigt.

In ihren Kündigungsschutzklagen führen die Klägerinnen aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschließe. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.

Beide Entscheidungen des LAG halten zunächst fest, dass § 20a IfSG in der zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs geltenden Fassung arbeitsrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorlage unrichtiger Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht sperrt. § 20a IfSG regele in Absatz 5 die Handlungsmöglichkeiten des Gesundheitsamts, nicht aber die des Arbeitgebers. Nach beiden Entscheidungen verstößt eine im Krankenhaus arbeitende Arbeitnehmerin mit der Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfunverträglichkeit, die weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch wenigstens auf einer individuellen ärztlichen Anamnese beruht, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag. Die Kammern bewerten allerdings die Schwere dieses Pflichtenverstoßes unterschiedlich.

Die vierte Kammer argumentiert, dass mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst ein falscher Eindruck erweckt werden sollte, und zwar, dass, bezogen auf "diesen Patienten", dessen individuelle Situation aufgrund ärztlicher Einschätzung nach individueller Kontaktierung bewertet wurde mit dem Ergebnis einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit. Der Versuch der Klägerin, ihre gesetzliche Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zu umgehen, wirke sich besonders belastend auf das Arbeitsverhältnis und gravierend auf das Vertrauensverhältnis aus. Im Rahmen der Interessenabwägung im Einzelfall sei von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin ihre individuellen Vorbehalte gegen eine Impfung hätte direkt gegenüber der Beklagten äußern können und müssen. Die Verwendung der aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung stelle sich als unrechtmäßiges Mittel dar, um sich vorübergehend der Verpflichtung nach § 20a Absatz 2 S. 1 Nr. 3 IfSG zu entziehen. Diese Vorschrift sichere ein überragendes Gut, die öffentliche Gesundheit. Ein Arbeitgeber müsse sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vorherige Abmahnung verweisen lassen. Schließlich ergäben sich im konkreten Fall auch keine individuellen gesundheitlichen Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin – möglicherweise auch durch Erkrankungen in der Vergangenheit begründet – befürchten muss, an Impfnebenfolgen leiden zu müssen.

Die fünfte Kammer des LAG hält dagegen die Vorlage der "Fake-Impfunfähigkeitsbescheinigung" für keine schwerwiegende, für eine fristlose Kündigung an sich geeignete Nebenpflichtverletzung. Eine solche ergebe sich auch nicht aus einem zulasten des Arbeitgebers begangenen Betrugsversuch. Es fehle an einem Vermögensschaden und im Übrigen am Vorsatz der Klägerin, die an ihre Impfunfähigkeit geglaubt habe. Auch die versuchte Täuschung, das vorgelegte Attest sei aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt worden, reiche nicht aus. Das vorgelegte Schreiben bescheinige keine diagnostizierte Impfunfähigkeit, sondern enthalte nur die allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin. Es sei als Impfunfähigkeitsbescheinigung offensichtlich untauglich. Im Übrigen hätte es vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft.

Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Beim Bundesarbeitsgericht ist inzwischen die vom LAG jeweils zugelassene Revisionen eingelegt worden (2 AZR 55/23 und 2 AZR 66/23.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Entscheidung vom 24.11.2022, 4 Sa 139/22 sowie vom 07.12.2022, 5 Sa 82/22, nicht rechtskräftig

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