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Deutsche Vorratsdatenspeicherung: Ist EU-rechtswidrig

21.09.2022

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entsprechend seiner bisherigen Linie entschieden, dass die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit EU-Recht vereinbar ist. So stehe das EU-Recht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegen, es sei denn, es liege eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vor. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könnten die Mitgliedstaaten jedoch unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen.

SpaceNet und Telekom Deutschland erbringen in Deutschland öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste; Telekom Deutschland erbringt zudem öffentlich zugängliche Telefondienste. Beide fochten vor den deutschen Gerichten die ihnen durch das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) auferlegte Pflicht an, ab dem 01.07.2017 Verkehrs- und Standortdaten betreffend die Telekommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

Das TKG verpflichtet die Betreiber öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste – insbesondere zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die nationale Sicherheit – zu einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten der Endnutzer dieser Dienste für eine Dauer von mehreren Wochen.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) möchte wissen, ob das EU-Recht solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht. Seine Zweifel beruhen insbesondere darauf, dass die nach dem TKG vorgesehene Speicherpflicht weniger Daten und eine kürzere Speicherungsfrist (vier beziehungsweise zehn Wochen) betrifft, als sie die nationalen Regelungen vorsahen, um die es in den Rechtssachen ging, in denen die vorangegangenen Urteile ergangen sind. Diese Besonderheiten verringern nach Ansicht des BVerwG die Möglichkeit, dass aus den gespeicherten Daten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert worden seien, gezogen werden. Außerdem gewährleiste das TKG, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten wirksam vor den Risiken eines Missbrauchs und eines unberechtigten Zugangs geschützt seien.

Mit seinem Urteil bestätigt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung. Aus der Vorlageentscheidung gehe hervor, dass die durch dieses Gesetz begründete Pflicht zur Vorratsspeicherung insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder, im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten, die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren. Im Rahmen der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten beziehe sich die Pflicht zur Vorratsspeicherung unter anderem auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse und, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle. Die Daten, aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben, würden ebenfalls gespeichert. Zwar würden die Daten betreffend E-Mail-Dienste nicht von der in der im TKG vorgesehenen Pflicht zur Vorratsspeicherung erfasst. Jedoch stellten sie auch nur einen Bruchteil der in Rede stehenden Daten dar. Außerdem würden unter anderem Daten von Nutzern gespeichert, die dem Berufsgeheimnis unterliegen, wie beispielsweise Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten.

Die im TKG vorgesehene Pflicht zur Vorratsspeicherung erstrecke sich somit auf einen umfangreichen Satz von Verkehrs- und Standortdaten, der im Wesentlichen den Datensätzen entspricht, die zur ursprünglichen Rechtsprechung des EuGH geführt haben. Ein solcher Satz von Verkehrs- und Standortdaten, die zehn beziehungsweise vier Wochen lang gespeichert werden, könne aber sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten gespeichert wurden – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren –, und insbesondere die Erstellung eines Profils dieser Personen ermöglichen.

In Bezug auf die im TKG vorgesehenen Garantien, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollen, weist der EuGH darauf hin, dass die Vorratsspeicherung dieser Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern. Daraus folge, dass nationale Rechtsvorschriften, die die vollständige Einhaltung der Voraussetzungen gewährleisten, die sich im Bereich des Zugangs zu auf Vorrat gespeicherten Daten aus der Rechtsprechung ergeben, naturgemäß den schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen, der sich aus der allgemeinen Vorratsspeicherung dieser Daten ergeben würde, weder beschränken noch beseitigen können.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 20.09.2022, C-793/19 und C-794/19

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