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Afghanistan: Abschiebung alleinstehender gesunder Männer ohne soziales oder familiäres Netzwerk verboten

08.02.2021

Derzeit darf auch ein alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger, erwachsener Mann regelmäßig nicht nach Afghanistan abgeschoben werden, weil es ihm dort angesichts der gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen infolge der COVID-19-Pandemie voraussichtlich nicht gelingen wird, auf legalem Wege seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschieden.

Anderes gelte dann, wenn in seiner Person besondere begünstigende Umstände vorliegen. Dies könne etwa der Fall sein, wenn der Rückkehrer in Afghanistan ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk hat, er nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt.

Damit hat die Klage eines Asylbewerbers in der Berufungsinstanz insoweit Erfolg, als es um die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan geht.

Der aus Afghanistan stammende Kläger war im Frühjahr 2016 ins Bundesgebiet eingereist und hatte hier einen Asylantrag gestellt. Seine gegen den ablehnenden Asylbescheid erhobene Klage hatte das Verwaltungsgericht Sigmaringen abgewiesen. Im hierauf durchgeführten Berufungsverfahren ging es allein um die Frage, ob der Kläger nach Afghanistan abgeschoben werden darf oder ob für ihn ein Abschiebungsverbot besteht.

Der VGH hat im Berufungsverfahren eine Sachverständige zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, befragt. Hierzu hatte die Sachverständige dem VGH zuvor bereits ein schriftliches Gutachten vorgelegt.

In seinem Urteil hält der VGH zumindest vorerst nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach einem leistungsfähigen, erwachsenen Mann – unabhängig davon, ob er vor Ort über ein aufnahmebereites und tragfähiges, familiäres oder soziales Netzwerk verfügt – in Afghanistan in der Regel nicht die Verelendung droht. Nach Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen und Auswertung einer Vielzahl von Erkenntnismitteln ist der VGH zu der Überzeugung gelangt, dass sich inzwischen die wirtschaftliche Lage in Afghanistan infolge der COVID-19-Pandemie derart verschlechtert hat, dass ein Rückkehrer aus dem westlichen Ausland keine realistische Aussicht hat, auf dem Tagelöhnermarkt eine Arbeit zu finden, sofern er nicht vor Ort über ein familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, das ihm Zugang zum Arbeitsmarkt verschafft.

Ohne die Erzielung eines Erwerbseinkommens und ohne versorgendes Netzwerk oder ausreichendes Vermögen sei die Sicherung der eigenen Existenz in Afghanistan indes nicht möglich. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Klägers ist der VGH nach diesen Maßstäben zu der Überzeugung gelangt, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020, A 11 S 2042/20

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