Eschersteg Ravensburg
Stadt Ravensburg gegen Regierungspräsidium Tübingen
Im Jahr 1908 erbaute die damalige Königliche Bausektion Ravensburg einen so genannten Eschersteg, eine Stahlbrückenkonstruktion, um die Schienen am Ravensburger Hauptbahnhof gefahrlos überqueren zu können. Seitdem ist einige Zeit vergangen und der einst profane Bau hat eine deutliche Aufwertung erfahren. Denn Stahlfachwerkbrücken dieser Art sind mittlerweile außerordentlich selten. Zudem handelt es sich um den längsten Fußgängersteg im Regierungsbezirk Tübingen. "An seiner Erhaltung besteht insbesondere wegen seines dokumentarischen und exemplarischen Wertes ein öffentliches Interesse", wie das Regierungspräsidium (RP) Tübingen auf Anfrage mitteilt. Deshalb ist der Steg seit 1997 ein Kulturdenkmal. Allerdings existiert der Steg nicht mehr.
War der Steg vormals im Besitz der Bahn, ging er im Jahr 1994 in das Eigentum der Stadt über. Die Stadt lässt wissen, dass der Steg schon seinerzeit in einem bedenklichen Zustand in Sachen Standsicherheit war. Schuld sei die Bahn, die dem Steg mangelhaften Unterhalt zuteilwerden ließ. Eine einfache Holzkonstruktion zur Abstützung schaffte Abhilfe, bis Anfang der 2000er Jahre die Standsicherheit nicht mehr dauerhaft gewährleistet werden konnte. Im Jahr 2005 wurde der eigentliche Steg dann demontiert und eingelagert. Die Treppentürme blieben vor Ort stehen. Die Fachbehörde für Denkmalschutz hatte sich allerdings für eine Sanierung an Ort und Stelle ausgesprochen, weil sie befürchtete, der Steg werde - einmal abgebaut - nicht mehr aufgebaut. Schließlich stimmte die Behörde doch zu, aber nur unter der Auflage, dass der Steg binnen fünf Jahren wieder stehen muss. Weiter wurde die Stadt verpflichtet, ein Sanierungskonzept vorzulegen, in das die geplante Elektrifizierung der betroffenen Strecke einbezogen werden sollte.
Doch die Elektrifizierung zog und zieht sich hin, daher forderte das RP nicht den Wiederaufbau binnen der ursprünglich vereinbarten fünf Jahre.
Stadt gegen Regierungspräsidium
Gleichwohl wies das RP auf die Notwendigkeit einer sachgerechten Lagerung des Stegs hin. Ravensburg verstand darunter die Lagerung auf Holzpodesten und später Betonsockeln - wenn auch nur unter freiem Himmel. Auf eine geforderte Einhausung wurde aus Kostengründen verzichtet. Was sich jetzt natürlich rächt, denn weitere Schutzmaßnahmen, auch für die Türme, waren vermutlich auch zu teuer. Daher lautet die Zustandsbeschreibung laut RP, dass Steg und die Treppentürme vor Ort in teilweise erheblichen Ausmaß gelitten haben. In einer Pressemitteilung schreibt das RP: "Das Regierungspräsidium ist sich bewusst, dass durch die unsachgemäße Lagerung der abgebaute Steg zusätzlich Schaden genommen hat; dies jedoch liegt im Verantwortungsbereich der Stadt Ravensburg". Da bleiben finanzielle Folgen naturgemäß nicht aus. Wurde Im Jahr 2009 noch die Summe von 800.000 Euro für Sanierung und Wiederaufbau genannt, spricht Ravensburg heute von rund zwei Millionen Euro.
So verweist man darauf, dass der Steg keinen Abgang auf den Mittelbahnsteig hatte. Zudem müsste das Bauwerk wegen der Barrierefreiheit mit Aufzügen versehen werden. Weiter müsste der Steg mit einem massiven Anprallschutz und wegen der neuen Oberleitungen mit Schutzvorrichtungen versehen werden. Das würde nicht nur die Kosten treiben, sondern auch den Denkmalcharakter in Mitleidenschaft ziehen.
Ideenwettbewerb ohne Steg
Das bewog die Stadt, beim RP die Streichung des Eschersteg von der Denkmalliste zu beantragen. Zwischenzeitlich hatte Ravensburg auch den Sieger eines mit 70.000 Euro dotierten Ideenwettbewerbs für das Bahnhofsumfeld gekürt, der den Eschersteg eigenartigerweise nicht berücksichtigte, dafür eine weitere Unterführung vorsieht.
Das RP sah sich nicht veranlasst, von seiner bestehenden Auffassung abzuweichen und zerpflückte die Argumente der Stadt. So sei die Barrierefreiheit - wie von der Stadt dargestellt - keine zwingende Voraussetzung für die Ausführung des Escherstegs. Denn es gibt bereits südlich des Bahnhofs eine barrierefreie Unterführung. Auch das der Eschersteg wegen der Oberleitungen höher gelegt werden müsste stellt laut RP kein technisches Problem dar. Und ein zusätzlicher mittlerer Abstieg könne auch akzeptiert werden. Außerdem sei es laut RP in der Praxis der Denkmalpflege üblich, "Eingriffe und Umbauten an und in Denkmalen zuzulassen, um sie an heutige Nutzungs- und Sicherheitsbedürfnisse anzupassen, solange und soweit der Denkmalcharakter erhalten bleibt".
Aus Sicht der Stadt Ravensburg ist es durchaus verständlich, dass man nicht gewillt ist, zwei Millionen und vielleicht noch mehr für eine demontierte Brücke auszugeben. Doch es gibt auch die berühmte andere Seite der Medaille, nämlich den Standpunkt des RP. Immerhin hat sich die Stadt dazu verpflichtet, den Steg zu sanieren und wiederaufzubauen. Sonst hätte der Steg gar nicht demontiert werden dürfen. Und bei einem bestehenden Bauwerk wäre vielleicht mehr Eifer gewesen, die dringend notwendige Sanierung anzugehen als bei einem Haufen Stahl, der fernab des öffentlichen Blicks auf einem städtischen Betriebshof lagert.