Werden Väter bei Erziehungszeiten diskriminiert?
Urteil des Bundessozialgerichts hält Ungleichbehandlung für ausnahmsweise gerechtfertigt: Es ist keine verfassungsrechtliche Benachteiligung von Männern, dass Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel zugunsten der Mutter anerkannt werden. Dies entschied der 5. Senat des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 18. April 2024 (Az. B 5 R 10/23 R).
Ein Vater hatte gegen seine Rentenversicherung geklagt, er werde aufgrund seines Geschlechts bei der Zuordnung von Kindererziehungszeiten diskriminiert. Kindererziehungszeiten sind Zeiten, die für die
Rentenberechnung bei Eltern berücksichtigt werden, die ihre Kinder selbst erziehen und daher nicht voll erwerbstätig sind. Diese Zeiten werden als Beitragszeiten in der Rentenversicherung angerechnet, um Eltern einen Rentenanspruch zu sichern, auch wenn sie während der Erziehungszeit nicht oder nur teilweise in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Im Regelfall werden pro Kind bis zu drei Jahre angerechnet.
Eltern entscheiden grundsätzlich gemeinsam, wem von ihnen die Rentenversicherung die Zeiten der Kindererziehung anrechnen soll. Wird keine Einigung erzielt oder keine Regelung getroffen, werden die
Zeiten automatisch dem Elternteil zugeschrieben, der hauptsächlich für die Erziehung verantwortlich war. Ist dies nicht eindeutig feststellbar, werden die Zeiten nach § 56 Abs. 2 S. 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) automatisch der Mutter angerechnet.
In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall lebten die Eltern zunächst gemeinsam mit der im Jahr 2001 geborenen Tochter, gaben jedoch keine einheitliche Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit ab. Während der Vater weiterhin in Vollzeit arbeitete, nahm die Mutter erst kurz vor dem sechsten Geburtstag der Tochter eine geringfügige Beschäftigung auf. Im Jahr 2008 zog die Mutter aus der gemeinsamen Wohnung aus und kehrte in ihr Heimatland Georgien zurück.
Nach der Vermutungsregel wurde die Kindererziehungszeit der Mutter zugesprochen. Darin sah der Vater eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Artikel 3 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit
Artikel 3 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz. Er werde u.a. aufgrund seines Geschlechts benachteiligt. Außerdem entspreche das hinter der Vermutungsregel stehende Rollen- und Familienbild nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Die Vorinstanzen und das Bundessozialgericht wiesen die Klage zurück. Das Bundessozialgericht stellte zwar fest, dass die Vermutungsregelung, wonach im Zweifelsfall die Erziehungszeit der Mutter zugeprochen wird, den Vater des Kindes benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots ausnahmsweise gerechtfertigt.
Denn nach geltender Auffassung müssten Väter darlegen, dass sie an der Erziehungsarbeit beteiligt waren.
Die Vermutungsregelung zum Nachteil der Männer und zum Vorteil der Frauen habe ihren Grund darin, dass Frauen bisher häufiger als Männer die Hauptverantwortung für die Erziehung von Kindern getragen haben. Dadurch seien ihnen Nachteile beim Aufbau ihrer Altersvorsorge entstanden, da sie häufig wegen der überwiegend von ihnen geleisteten Kinderbetreuungsarbeit weniger Zeit in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen tätig gewesen seien. Zwar ändere sich diese Situation langsam, Mütter seien jedoch nach wie vor weniger in den Arbeitsmarkt integriert.
Erziehungszeit für Väter möglich Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Väter ebenfalls Erziehungszeit beanspruchen können. Die übrigen Zuordnungsregelungen in § 56 Abs. 2 SGB VI ließen laut Gericht genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.
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