Erst nach 10 Jahren ist klar: Finanzhof-Vorlage ist unzulässig
Hat Bonn aus seinen Fehlern gelernt?
„Preisetikett für Steuerzahler fehlt“
BdSt-Präsident Reiner Holznagel bewertet den Ampel-Koalitionsvertrag im Gespräch mit der Passauer Neuen Presse
Wie fällt ihre Bilanz der steuer- und finanzpolitischen Aussagen im Koalitionsvertrag der Ampel aus?
Reiner Holznagel: Ich sehe vielversprechende Ansätze, denen die Ampel in den nächsten vier Jahren gerecht werden muss – bei wohlklingenden Überschriften darf es nicht bleiben! Gut ist, dass die Ampel offenbar auf Steuererhöhungen verzichten will, was die konjunkturelle Erholung und den Binnenkonsum stärkt. Finanzpolitisch bleibt die Koalition leider vage: Sie will viel Geld verteilen und umverteilen, doch lässt sie das Preisetikett für uns Steuerzahler weg! Das alles sind große offene Fragen, die noch beantwortet werden müssen. Erfreulich ist dagegen, dass die im Wahlkampf viel diskutierten Pläne, eine Vermögensteuer wiederzubeleben oder die Erbschaftsteuer zu erhöhen, nicht mehr im Raum stehen und dass eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vom Tisch zu sein scheint.
Genügt das Ampel-Bündnis mit seinen Finanzierungsplänen für die geplanten massiven Investitionen dem Anspruch einer soliden Haushaltspolitik?
Holznagel: Wohl nicht. Die Koalition kündigt viele Mehrausgaben an, die sie zum Teil durch Entbürokratisierung, Sparpotenziale, Subventionsabbau oder Effizienzsteigerungen in der Verwaltung finanzieren will. Die Ausgabenprojekte stehen fest, die gewollte Gegenfinanzierung muss aber erstmal gesichert werden! Hier sehe ich noch viel Konfliktpotenzial bei allen Koalitionären untereinander – und vermutlich werden die Sparmaßnahmen deutlich geringer ausfallen, als man uns derzeit einredet.
Was halten Sie von den Plänen, 2022 noch einmal kräftig mehr neue Krediten zur Klimaschutzfinanzierung aufzunehmen und ansonsten Förderbanken und Bundesunternehmen, wie die Bahn, stärker zur Kreditaufnahme außerhalb des Haushalts zu nutzen?
Holznagel: Der Staat wird schon dieses Jahr mehr Steuern einnehmen als im Vorkrisenjahr 2019. Und im nächsten Jahr sollen die Steuereinnahmen sogar weiter auf Rekordhöhe steigen. Wenn sich die Ampel zugleich aber mehr verschulden will, sehe ich hier einen Grundsatzkonflikt. Es darf nicht dazu kommen, den Klimaschutz gegen die Schuldenbremse und eine solide Haushaltspolitik auszuspielen. So wichtig der Klimaschutz auch ist: Ihm steht der maßgebliche Gedanke der Schuldenbremse auf Augenhöhe gegenüber – und zwar die Generationengerechtigkeit. Deshalb ist es ebenso falsch, Bundesbetriebe in den Schuldensumpf vorzuschicken, nur um den Bundeshaushalt mit weißer Weste dastehen zu lassen. Am Ende zahlt ja der Steuerzahler die Zeche.
Was vermissen Sie am meisten im finanz- und steuerpolitischen Teil des Koalitionsvertrages?
Holznagel: Vor allem zwei Dinge: Eine schriftlich fixierte und damit offizielle Absage an Steuererhöhungen und eine Kampfansage an alle Steuergeldverschwender – denn auch Steuergeldverschwendung ist kein Kavaliersdelikt und muss genau so konsequent verfolgt und bestraft werden wie Steuerhinterziehung. Nochmals zur Steuerlast: Hier fehlt mir das Bekenntnis, die Steuerzahler durch den Abbau des Progressionsvorbehalts zu entlasten. Und die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre auch an der Zeit gewesen.
Halten Sie die deutsche Schuldenbremse und europäische Stabilitätsregeln unter der Ampel für dauerhaft gesichert?
Holznagel: Dass die Schuldenbremse im Grundgesetz und der EU-Stabilitätspakt erhalten bleiben, begrüße ich. Doch abseits von Grundgesetz und EU-Verträgen will die Koalition die Regeln kräftig schleifen, um mehr Schulden machen zu können. Was bedeutet was? Die Regeln verlieren ihre Bremswirkung beim Schuldenanstieg und laden diese Lasten bei den nächsten Generationen ab! Für mich ist das keine verantwortungsvolle Finanzpolitik, die gerade jetzt bitter nötig wäre – denken Sie nur an die hohen Pandemie-Schulden!
Das Interview führte Gernot Heller