Mit dem 9-Euro-Ticket am Ziel vorbei
Erfahrungen nach erstem Aktions-Monat / BdSt: Fragen zu Milliarden-Zuschüssen klären!
Seit Anfang Juni gilt das stark subventionierte 9-Euro-Ticket für den Nah- und Regionalverkehr. Nun liegen die ersten Auswertungen zur Nutzung des Tickets vor. Diese zeigen, dass wesentliche Ziele der Bundesregierung verfehlt wurden. Zudem zeigen sich überraschende Nebeneffekte. Wir betonen: Bevor sich die Verantwortlichen in die Debatte um ein Nachfolgeticket stürzen, sollten grundlegende Fragen zu den Milliarden-Zuschüssen des Bundes geklärt werden!
Erfahrungen aus dem ersten Monat
Eine Sonderauswertung von Mobilfunkdaten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) hat ergeben, dass im ersten Monat nach Einführung des Tickets das Reiseaufkommen im Schienenverkehr deutlich angestiegen ist, die Mobilität im Straßenverkehr ist hingegen nur leicht gesunken.
Interessant ist ein Blick auf die zurückgelegten Entfernungen. Laut Destatis-Auswertung hat die Mobilität vor allem bei Entfernungen zwischen 30 und 300 km zugenommen, dabei insbesondere auf Strecken zwischen 100 und 300 km. Auswertungen für Entfernungen unter 30 km seien technisch nicht möglich gewesen. Aufschlussreich ist auch ein Blick darauf, an welchen Wochentagen die Menschen vermehrt reisen. Dabei fällt auf, dass die Mobilität an allen Tagen zugenommen hat – besonders ausgeprägt jedoch an den Wochenenden.
Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Deutsche Bahn AG haben Daten ihrer bundesweiten Marktforschung zum ersten Monat des 9-Euro-Tickets vorgelegt: Demnach hat eine Hochrechnung ergeben, dass im Juni rund 30 Mio. Personen ein 9-Euro-Ticket besessen haben – darunter auch die regulären Abonnenten, die das Ticket von Juni bis August verbilligt erhalten. Die Marktforschung hat auch ergeben, dass jede vierte Fahrt ohne das Ticket nicht unternommen worden wäre, rund 3 Prozent der Fahrten wären ohne das Ticket mit dem Auto erfolgt.
Kurzum: Durch das Ticket hat die Mobilität auf der Schiene deutlich zugenommen – vor allem auf Strecken zwischen 100 und 300 km und an den Wochenenden. Während dies die Autofahrten aber nur wenig eingeschränkt hat, hat das Ticket vor allem einen Anreiz für zusätzliche Fahrten gesetzt – offenbar vor allem für Wochenendausflüge.
Ziele verfehlt
Nun sind Wochenendausflüge eine feine Sache. Aber diese zu fördern, war nicht das erklärte Ziel der Bundesregierung. Vielmehr sollten „die Bürgerinnen und Bürger durch ein verbilligtes ÖPNV-Ticket […] unmittelbar von den stark steigenden Energiekosten“ entlastet werden, schrieb der Bundesverkehrsminister Ende April in einer Vorlage zum 9-Euro-Ticket an seine Kabinettkollegen. Darin hieß es weiter: „Neben der finanziellen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger setzt die Maßnahme einen Anreiz zum Umstieg auf den ÖPNV und zur Energieeinsparung.“
Das Ziel der Energieeinsparung dürfte verfehlt werden. Die Auswertungen des ersten Aktions-Monats hat gezeigt, dass 25 Prozent der Verkehrszunahme durch das Ticket auf Fahrten zurückzuführen sind, die sonst nicht unternommen worden wären. Zudem sind die Fahrten mit dem eigenen Auto kaum weniger geworden. Dementsprechend gering dürfte auch die Kosten-Entlastung an der Tankstelle sein.
Und auch zu einer allgemeinen Entlastung der Bürger wird das Ticket am Ende nicht führen – lediglich zu einer Umverteilung, da die Kosten der Bahnfahrten letztlich durch die Bürger selbst, in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler, getragen werden müssen.
Hohe Kosten sowie Gewinner und Verlierer
Zum Hintergrund: Der Bund zahlt den Ländern für diese Aktion 2,5 Mrd. Euro. Diese Milliardensumme ist teilweise durch Schulden finanziert und wird somit vom Steuerzahler – aktuell und künftig – zu erwirtschaften sein. Rein rechnerisch sind dies – vom Kleinkind bis zum Greis – rund 30 Euro, die der Bundeszuschuss jeden Bürger kostet; also rund 10 Euro pro Aktions-Monat.
Nutzer des Tickets zahlen also 9 Euro für das Ticket und ihren rechnerischen Anteil am Steuerzuschuss von 10 Euro und fahren somit für 19 Euro im Monat deutschlandweit im Regionalverkehr. Dieser günstige Preis wird ihnen finanziert durch die 53 Mio. Mitbürger, die das Ticket nicht nutzen und dennoch – rein rechnerisch – 30 Euro für diese Aktion über aktuelle und künftige Steuerzahlungen zuschießen müssen.
Viele offene Fragen
Nun passiert, was abzusehen war: Wenn Politiker erst einmal Subventionen verteilt haben, fällt es ihnen schwer, diese wieder zurückzunehmen. Im Gegenteil: Die Diskussion über ein Nachfolge-Ticket läuft bereits auf Hochtouren.
Dabei wird gern ausgeblendet, dass im ÖPNV mittlerweile ein regelrechter Förderdschungel entstanden ist. Der Bundesrechnungshof beklagt in einem Sonderbericht zur Finanzierung des ÖPNV, dass dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr ein vollständiger Überblick über die Förderung durch andere Ressorts fehle. Zudem kritisieren die Rechnungsprüfer, dass die Länder die entsprechenden Bundesmittel zum Teil nicht vollständig ausgeben und Verwendungsnachweise ungenau und lückenhaft sind. Manche Mittel werden nur schleppend abgerufen, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Bedarf an Bundesmitteln überschätzt wurde. Im Ergebnis sei der wirtschaftliche Einsatz der Bundesmittel nicht sichergestellt, da die Finanzierung aus den verschiedenen Ressorts nicht aufeinander abgestimmt sei, warnt der Rechnungshof weiter.
Bevor also über neue Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gesprochen wird, sollte erst einmal geklärt werden, wie viel Geld der Bund bereits heute für den ÖPNV zahlt – und wofür genau! Und es muss sichergestellt werden, dass das Geld der Steuerzahler wirtschaftlich und sparsam verwendet wird. Dazu gehört auch, dass mit den gewählten Mitteln die selbstgesteckten Ziele auch wirklich erreicht werden.