Journalistenpreis – Die spitze Feder 2021
Neue Verbände-Allianz: „Vermögensteuer trifft alle“
Hamburger Politiker stellen sich den Fragen der BdSt-Mitglieder
Das war ein großer Erfolg: Mit Aydan Özoğuz (SPD), Christoph Ploß (CDU), Deniz Çelik (Die Linke), Michael Kruse (FDP), Katharina Beck (Die Grünen) und Dr. Bernd Baumann (AfD) diskutierten die sechs Hamburger Spitzenkandidaten:innen der im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam mit BdSt-Präsident Reiner Holznagel unmittelbar vor der Wahl vor Mitgliedern des Hamburger BdSt-Verbands wichtige Steuer-Themen.
Ob die Aussagen auch nach dem 26. September und möglichen Koalitionsverhandlungen noch Bestand haben?
Welche Partei will nach der Wahl die Steuern erhöhen? Welche will Steuern senken? Wenn es so einfach wäre, müsste man nicht mehr diskutieren. Aber so schwarz-weiß ist es ja nicht, weder bei den Parteien noch bei den Steuerzahlern. Dass Abgaben der Bürger nötig sind, um das Gemeinwesen zu finanzieren, ist allgemeiner Konsens in Politik und Bevölkerung. Wieviel und wofür, darüber lässt sich allerdings trefflich streiten. Das ist nichts Negatives, denn aus dem gepflegten Austausch von Argumenten können alle Beteiligten und auch die Zuschauer Erkenntnisse ziehen. So geschehen beim – komplett ausgebuchten - SteuerzahlerFORUM zur Bundestagswahl, bei dem Hamburger Kandidaten der sechs im Bundestag vertretenen Parteien sich den kritischen Fragen des Bundes der Steuerzahler stellten.
Zum Forum in der Hamburger Speicherstadt eingeladen waren die jeweiligen Spitzenkandidaten auf den Landeslisten der jeweiligen Parteien: Aydan Özoğuz (SPD), Christoph Ploß (CDU), Żaklin Nastić (Die Linke), Michael Kruse (FDP), Katharina Beck (Die Grünen) und Dr. Bernd Baumann (AfD). Bis auf Żaklin Nastić, die kurzfristig verhindert war, waren alle Eingeladenen gekommen. Nastić wurde durch Deniz Çelik, Linken-Kandidat für den Wahlkreis Hamburg-Nord vertreten. Die Moderation übernahm der Fernsehjournalist Hans-Jürgen Börner. Als kritischer Faktenwächter und meinungsstarker Co-Moderator stand ihm der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, zur Seite. Heiß diskutiert wurde beim Thema Vermögenssteuer, weitgehend einig war man sich bei der Besteuerung internationaler Konzerne, Dissens wiederum gab es beim Thema Schuldenbremse. Die Progressionskurve, Subventionskritik und der Solidaritätszuschlag waren ebenfalls gewichtige Themen, die innerhalb von zwei Stunden zur Sprache kamen.
„Die Steuer- und Abgabenpolitik ist eins der wichtigsten Instrumente der Politik, aber im Wahlkampf völlig unterrepräsentiert“, leitete Reiner Holznagel ein. „Dabei gibt es ohne Steuern keine Klimamaßnahmen und keine Verbesserung der inneren Sicherheit. Die Politiker müssen also auch erklären, wo das Geld herkommen soll!“
Zunächst einmal ging es allerdings darum, wo das Geld nicht hingehen soll. Hans-Jürgen Börners Aufwärmfrage war, wo die Kandidaten Ausgaben streichen würden. Die Antworten waren größtenteils vorhersehbar: Die Grüne Katharina Beck würde klimaschädliche Subventionen, wie die Steuerbefreiung von Kerosin und das Steuerprivileg von Dieselkraftstoff streichen und so 57 Milliarden Euro Plus machen. AfD-Kandidat Baumann würde bei Flüchtlingen, Coronahilfen und Energiewende nach seiner Rechnung Billionen sparen, denn CO2 beispielsweise ließe sich in China um ein Vielfaches kostengünstiger vermeiden. Das wollte Beck nicht stehen lassen: „Gegen die Ausgaben für Klimaschutz muss man immer die Kosten rechnen, die durch Klimaschäden entstehen, wie beispielsweise bei den Überschwemmungen an Rhein und Ahr.“ Für Michael Kruse gehört die subventionieret Kohleförderung auf den Prüfstand, aber auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz müsste nach über zwei Jahrzehnten gründlich überarbeitet werden, um nur die Förderungen beizubehalten, die noch sinnvoll sind. Christoph Ploß stieß in das gleiche Horn: „Subventionen sind richtig, wenn man damit Entwicklungen anschieben kann“, sagte er. „Sobald sich diese Entwicklung aber selbst trägt, sollte auch kein staatliches Geld mehr fließen.“ Aydan Özoğuz verteidigte die Politik der vollen Hände, die in den letzten Monaten vorgeherrscht habe: „Der Staat hat gerade viel Geld ausgegeben und uns alle damit gut durch die Corona-Krise gebracht. Auch Klimamaßnahmen müssen bezahlt und Flutopfern muss geholfen werden. Wir müssen also Geld ausgeben. Aber wir müssen es auch wieder hereinholen!“, sagte sie.
Damit war auch schon zur Einnahmenseite übergeleitet. Keine Partei will „die Steuern“ – damit ist umgangssprachlich ja meist nur die Einkommensteuer gemeint – generell erhöhen. Unterschiede gibt es allerdings: Während SPD, Grüne und Linke in jeweils unterschiedlicher Ausprägung ankündigten, Geringverdiener und mittlere Einkommen steuerlich zu entlasten, dafür aber bei höheren Einkommen stärker abschöpfen möchten – die Grenze zwischen potenziell Entlasteten und Belasteten liegt für die Linken bei 70.000 Euro Jahreseinkommen eines Singles, für die Grünen bei 100.000, für die SPD bei 250.000 – lehnen CDU, FDP und AfD jegliche Erhöhung der Einkommensteuer ab. Die finanziellen Herausforderungen der Zukunft könne man mit den steigenden aus dem postpandemischen Wirtschaftswachstum finanzieren, sagte der Liberalen-Kandidat Michael Kruse. Ein Argument übrigens, das der Sozialdemokrat Olaf Scholz als Finanzminister gern anführt, als Kanzlerkandidat jedoch nicht mehr vertritt. CDU-Kandidat Christoph Ploß begründet seine Ablehnung: „Mit höheren Steuern auf höhere Einkommen gewinnt man die Wissens- und Leistungseliten nicht für den Standort Deutschland, sondern man vertreibt sie. Dann kann auch keine Forschung für Klimatechnologie betrieben werden.“ „Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer“, hielt der Linken-Politiker Deniz Çelik ihm entgegen, „und wenn die Reichen immer reicher werden, müssen sie auch mehr für die Gemeinschaft leisten.“ Aydan Özoğuz hielt Ploß vor, dass die Wahlversprechen der CDU ohne Einnahmenerhöhung bis zu 30 Milliarden Euro ungedeckte Kosten verursachen würden. In Richtung der AfD, die ein generell vereinfachtes Steuersystem fordert, sagte sie: „Diese vereinfachten Modelle führen seltsamerweise immer zu einer Geringerbesteuerung der höheren Einkommen. Das ist nicht gerecht!“
Argumentativ war man da schon bei der Vermögenssteuer, auch wenn diese Frage zeitlich versetzt diskutiert wurde. SPD, Grüne und Linke wollen eine Abgabe auf Privatvermögen einführen, CDU, FDP und AfD lehnen das ab. „Sozialistischer Wahnsinn!“, wetterte AfD-Kandidat Baumann. „Die aufgeregte Argumentation um die Vermögensabgabe scheint mir keine Neiddebatte, sondern eine Gierdebatte zu sein“, konterte die Grüne Beck. Mit tatsächlichen Argumenten ging es hauptsächlich darum, wieviel administrativen Aufwand das Erheben einer Vermögenssteuer kosten würde, und ob dadurch auch Betriebsvermögen betroffen wären. „Die Vermögen der mittelständischen Unternehmer sind in ihren Betrieben gebunden“, führte FDP-Kandidat Kruse ins Feld, „wer da herangeht, schadet der Wirtschaft!“ Die Betriebsvermögen seien bei ihren Plänen generell ausgenommen, sagten die Kandidaten der Vermögenssteuerbefürworter-Parteien. Christoph Ploß wolle das nicht gelten lassen: Im Wahlprogramm der Grünen sei der Zugriff auf die Betriebsvermögen explizit erwähnt, sagte er, sein Handy zum Beweis schwenkend. Ein Formulierungsfehler, versuchte Katharina Beck dies zu entkräften. Beck rechnet damit, dass der Aufwand, eine Vermögensabgabe zu erheben, bei sechs Milliarden Euro, die Einnahmen bei 10 Milliarden Euro jährlich liegen würden. Hier griff Reiner Holznagel ein: „Als die Vermögenssteuer abgeschafft wurde, hat man den Verlust für die Bundesländer dadurch ausgeglichen, dass sie mehr Spielraum bei der Erhebung der Grunderwerbssteuer erhielten. Die Mehreinnahmen betragen 16 Milliarden Euro. Würde man das zurückdrehen und durch eine Vermögensabgabe ersetzen, ergäbe das einen Verlust!“, sagte er. „Man sieht es auch im Ausland: Frankreich hat mit der Einführung der Vermögensteuer Einnahmen verloren. An die Ungleichverteilung des Wohlstands in Deutschland muss tatsächlich herangegangen werden, aber es gibt tauglichere Mittel, wie etwa die Erbschaftssteuer.“
Es gab auch Themen, bei denen Einigkeit herrschte: Die lokale Besteuerung international tätiger Unternehmen dort, wo sie Gewinne erwirtschaften und nicht dort, wo sie sie steuergünstig verbuchen, sei richtig, sagten alle sechs Kandidaten. Eine Erhöhung der Umsatzsteuer lehnten alle ab: „Mit Verbrauchssteuern trifft man die Armen, die ihr gesamtes Einkommen ausgeben müssen, immer härter, als diejenigen, die Geld übrigbehalten“, begründete Deniz Çelik, „allerdings kann man das System auch vereinfachen.“
Noch einmal kontrovers wurde es, als es um die Schuldenbremse ging: Grüne und Linke sehen sie kritisch: „Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse und Flexibilitätsfessel“, sagte Deniz Çelik und Katharina Beck fügte hinzu: „Wir müssen auch sehen, welche Werte wir mit den Ausgaben schaffen und diese dann mit den Schulden verrechnen.“ Aydan Özoğuz warb für die Schuldenbremse. „Es ist richtig, dass wir die Schuldenbremse in der Pandemie ignoriert haben, aber ohne die Schuldenbremse hätten wir diese Flexibilität gar nicht gehabt. Deshalb müssen wir dahin zurückkehren“, sagte sie. Michael Kruse pflichtete ihr bei und Christoph Ploß betonte, dass sich seiner Meinung nach die Schuldenbremse und Investitionen nicht ausschlössen. „Die Schuldenbremse ist keine starre Fessel“ verdeutlichte Reiner Holznagel die Position des Bundes der Steuerzahler, „sondern sie ist die Verpflichtung für die Politik, Prioritäten zu setzen, und darauf bestehen wir!“