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„Das sind historische Dimensionen“
Nachtragshaushalt, Schuldenspirale und mögliche Steuererhöhungen: BdSt-Präsident Reiner Holznagel im Interview mit der Passauer Neuen Presse
Der Bundestag hat den Nachtragshaushalt für den Bund beschlossen Damit steigt die Neuverschuldung für 2021 auf den Rekord von 240 Milliarden Euro. Kann Deutschland sich das so ohne weiteres angesichts einer Staatsverschuldung von über 2,2 Billionen Euro leisten?
Holznagel: Ganz und gar nicht, auch wenn Finanzminister Olaf Scholz immer wieder das Gegenteil behauptet. Der Schuldenberg, der jetzt enorm ansteigt, wird den Steuerzahlern in den nächsten Jahrzehnten wie Blei auf den Füßen liegen. Umso unfassbarer ist es, dass die Politik völlig ratlos wirkt, wie sie die Corona-Schulden jemals wieder abbauen will – und zwar ganz praktisch und nicht nur auf dem geduldigen Papier eines Tilgungsplans. Genau das verlangt aber die Schuldenbremse – sinnvollweise! Zudem muss klargestellt werden: Schuld an der hohen Verschuldung hat nicht nur die aktuelle Krise, sondern auch teure Ausgabenbeschlüsse der Regierung vor Corona.
Auch 2022 sollen noch weitere 81,5 Milliarden neue Kredit aufgenommen und damit erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremse beantragt werden. Droht eine endlose Schuldenspirale?
Holznagel: Spirale ist das richtige Wort, die Verschuldung geht ungebremst weiter. Derzeit wird jedes Haushaltsloch ausschließlich mit neuen Schulden zugeschüttet. Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel eine konsequente Sparpolitik fehlen komplett. Aus dieser einseitigen Schuldenpolitik ergibt sich für den Bundeshaushalt eine Schuldenexplosion von mehr als 450 Milliarden Euro in den Jahren 2020 bis 2022. Rechnerisch steigt das Staatschuldenkonto jedes einzelnen Bürgers – ob Kita-Kind oder Altenheim-Bewohner – damit um 5.400 Euro. Das sind historische Dimensionen!
Führt angesichts dieser Lasten etwas an Steuererhöhungen in absehbarer Zeit auf breiter Front vorbei?
Holznagel: Die Lasten könnten deutlich geringer sein, wenn sich der Bund auf Corona-Maßnahmen konzentrieren und ansonsten die Ausgabenbremse ziehen würde. Das macht er aber nicht, im Gegenteil: Derzeit finanziert der Bund alle seine Ausgaben – ob coronabedingt oder nicht – zu 44 Prozent durch Schulden. Ebenso lässt er finanzielle Reserven – wie die Asylrücklage von 48 Milliarden Euro – ungenutzt, um die Neuverschuldung zu verringern. Steuererhöhungen wären definitiv vermeidbar, wenn die Regierung ihre Hausaufgaben machen und den Haushalt straffen würde.
Die Grünen haben mit Frau Baerbock ihre Kanzlerkandidatin benannt und führen in den Meinungsumfragen aktuell. Welchen Kurs würden Sie von ihr bei Steuern und Schulden zu erwarten?
Holznagel: Sowohl unabhängig von Frau Baerbock als auch von der Corona-Krise liebäugeln die Grünen mit höheren Staatsausgaben und mehr Umverteilung. Auch als Verfechter der grundgesetzlichen Schuldenbremse sind die Grünen nicht bekannt. Alles in allem wollen sie mehr Staat, der dann aufwendiger finanziert werden müsste. Kurzum: Mit den Grünen stünden Steuererhöhungen und eine höhere Staatsverschuldung durch ein Schleifen der Schuldenbremse im Raum.
Wie sehen Sie die Chancen, dass die Schuldenbremse in der Verfassung auf Dauer und unverändert erhalten bleibt?
Holznagel: Das wird sich nach der Bundestagswahl zeigen, wenn aus Lippenbekenntnissen reales Handeln werden muss. Momentan ist die Schuldenbremse, die eine Staatsüberschuldung gerade in Krisen verhindern soll, massiven Angriffen ausgesetzt. Öffentlich befragt, stellt sich Finanzminister Scholz zwar hinter die Schuldenbremse. In Wirklichkeit greift er sie mit seinem Handeln aber frontal an, um sie nach der Wahl zur Disposition zu stellen. Um die Schuldenbremse wird es noch harte Auseinandersetzungen geben. Ganz klar: Einer Abschaffung werde ich mich entgegenstellen, weil die Schutzfunktion der Schuldenbremse für einen funktionierenden Staat elementar wichtig ist.
Was halten sie von dem Argument, die niedrigen Zinsen legten nahe, jetzt massiv Schulden einzugehen, um Zukunftsinvestitionen zu finanzieren?
Holznagel: Erstens: Die Schuldenbremse verhindert keine Zukunftsinvestitionen. Dieses häufig gehörte Argument ist schlichtweg falsch. Zweitens: Schuldenmachen ist kein Selbstzweck. Selbst wenn die Kreditfinanzierung derzeit günstig ist, ist sie nicht geschenkt und kann später zu einem bösen Erwachen führen, wenn es zu einer teuren Anschlussfinanzierung kommt. Und: Die Zeiten der Null-Zinsen scheinen vorerst vorbei – die Schuldenaufnahme des Staates hat sich im vergangenen halben Jahr deutlich verteuert.
Das Interview führte Gernot Heller