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Zu Unrecht gezahlte Kernbrennstoffsteuer: Verfassungsbeschwerde betreffend Verzinsung erfolglos

01.08.2022

Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist die Betreiberin eines Kernkraftwerkes mit ihrer Verfassungsbeschwerde betreffend die Verzinsung zu Unrecht entrichteter Kernbrennstoffsteuer gescheitert. Das BVerfG sieht keine Grundrechtsverletzung.

Die Beschwerdeführerin gab entsprechend den Vorgaben des Kernbrennstoffsteuergesetzes eine Steuererklärung ab, in der sie die Steuer mit 54.725.320 Euro berechnete. Das Hauptzollamt erklärte die Festsetzung der Kernbrennstoffsteuer hinsichtlich der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit dem Grundgesetz (GG) für vorläufig, weil diese Frage zu diesem Zeitpunkt schon Gegenstand eines vor dem BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens war. Am 25.07.2016 beglich die Beschwerdeführerin ihre Steuerschuld, legte dann aber Einspruch gegen die Steuerfestsetzung ein. Der Einspruch wurde zunächst nicht beschieden. Eine Klage vor dem Finanzgericht (FG) erhob die Beschwerdeführerin deswegen jedoch nicht.

Im Rahmen eines Verfahrens der konkreten Normenkontrolle erklärte das BVerfG mit Beschluss vom 13.04.2017 das Kernbrennstoffsteuergesetz für mit dem GG insgesamt unvereinbar und nichtig. Daraufhin hob das Hauptzollamt seinen Bescheid auf und half dadurch dem Einspruch der Beschwerdeführerin ab. Die aufgrund der Steueranmeldung entrichteten 54.725.320 Euro zahlte es zurück.

Die Beschwerdeführerin beantragte eine Verzinsung dieses Betrages zwischen dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer am 25.07.2016 und dem Eingang der Erstattung am 19.07.2017. Der Gesetzgeber hat in der Abgabenordnung (AO) einen solchen Zinsanspruch allerdings nicht vorgesehen. Das Hauptzollamt lehnte daher die beantragte Festsetzung von Zinsen ab. Das FG Hamburg wies die dagegen erhobene Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin wies der Bundesfinanzhof als unbegründet zurück.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 14 Absatz 1 GG sowie aus Artikel 3 Absatz 1 GG, jeweils in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 GG. Allein durch Rückzahlung der Steuer sei die durch Erhebung der verfassungswidrigen Kernbrennstoffsteuer erfolgte Grundrechtsverletzung nicht behoben worden. Vielmehr sei zur vollständigen Kompensation des Eingriffs eine Verzinsung verfassungsrechtlich geboten.

Das BVerfG folgt dieser Ansicht nicht. Die angegriffenen fachbehördlichen und -gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin durch Versagung des im Ausgangsverfahren begehrten Zinsanspruchs nicht in ihren Grundrechten. Der Zinsanspruch folge nicht unmittelbar aus dem GG.

Zwar habe die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer aufgrund eines kompetenzwidrig erlassenen Gesetzes die Beschwerdeführerin in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Der deswegen entstandene Anspruch der Beschwerdeführerin auf Erstattung der entrichteten Steuer sei erfüllt. Der Grundrechtsverstoß könne aber darüber hinaus verfassungsrechtlich radizierte Kompensationsansprüche begründen. Art und Umfang grundrechtlicher Sekundäransprüche bedürften allerdings der Ausgestaltung und Konkretisierung durch den Gesetzgeber, der dabei einen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum habe. Die verfassungsrechtliche Garantie grundrechtlicher Sekundäransprüche dem Grunde nach statuiere keine Pflicht des Gesetzgebers, sämtliche Folgen verfassungswidriger Eingriffe rückwirkend zu beseitigen.

Aus Artikel 19 Absatz 4 GG ergäben sich keine verfassungsunmittelbaren Ersatzansprüche. Artikel 19 Absatz 4 GG gewährleiste selbst weder den sachlichen Bestand noch den Inhalt materiell geschützter Rechtspositionen, sondern setze diese vielmehr voraus.

Die Verneinung einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur umfassenden Kompensation sämtlicher – auch nur mittelbar mit einer Grundrechtsverletzung zusammenhängender – Vermögensnachteile stehe auch mit den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Einklang.

Die gesetzgeberische Entscheidung, den geltend gemachten Zinsanspruch in der Abgabenordnung nicht vorzusehen, ist laut BVerfG nicht verfassungswidrig. Sieht der Gesetzgeber nach verfassungswidriger Erhebung von Steuern Rückerstattungsansprüche in Höhe der gezahlten Nominalbeträge vor, verlangten die Grundsätze des grundrechtlichen Kompensationsanspruchs im Regelfall keine über die Rückzahlung des geleisteten Steuerbetrags hinausgehende Kompensation. Dies gelte jedenfalls bei niedrigen Marktzinsen und niedriger Inflation für Erstattungen, die regelmäßig binnen weniger Jahre – und nicht erst nach Jahrzehnten – erfolgen. Hier sei die zu Unrecht gezahlte Kernbrennstoffsteuer der Beschwerdeführerin binnen eines angemessen kurzen Zeitraums von nur zehn Monaten erstattet worden. In dem streitgegenständlichen Zeitraum sei das Zinsumfeld von Niedrigzinsen geprägt gewesen. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers habe sich daher nicht zu einer Verpflichtung verdichtet, die Steuererstattungsansprüche zu verzinsen.

Die fehlende Anordnung einer generellen Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Absatz 1 GG.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30.06.2022, 2 BvR 737/20

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