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VW-Kauf nach Bekanntwerden des «Dieselskandals»: Erste Entscheidung zum VW-Software

15.03.2021

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich erstmals zu der Frage geäußert, ob dem Käufer eines mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestatteten Gebrauchtwagens, der sein Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des "Dieselskandals" gekauft hat, Schadenersatzansprüche gegen die VW AG zustehen, weil in dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update nach der Behauptung des Käufers ein "Thermofenster" implementiert ist und das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß hat. Der BGH hat in diesem Fall Schadenersatzansprüche verneint.

Der Kläger erwarb am 16.09.2016 einen gebrauchten VW, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Kfz hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe. Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines "Thermofensters" implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Er verlangt von der Beklagten die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das OLG habe einen Schadenersatzanspruch aus §§ 826, 31 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu Recht verneint, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen sei, so der BGH. Wie der BGH bereits mit Urteil vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20) entschieden hat, sei für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Durch die vom OLG festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten seien wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19), derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei.

Dies gilt laut BGH auch, wenn die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde gelegt wird, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, die die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius deutlich reduziere. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reiche in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters sei nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, sei der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führe nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem – unterstellten – Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Anhaltspunkte hierfür seien aber nicht dargetan. Es sei insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte das KBA im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte.

Eine abweichende Beurteilung war nach Ansicht des BGH auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten entwickelte Software-Update nach der – unterstellten – Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dieser Umstand führe in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht dazu, dass das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten wäre.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20

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