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Fahrzeuge mit unzulässigen Abschalteinrichtungen: Käufer kann Schadenersatzanspruch haben

22.03.2023

Der Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadenersatz, wenn ihm durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Dies stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar und unterstreicht, dass das Unionsrecht in diesem Zusammenhang neben allgemeinen Rechtsgütern (wie die Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus) auch die Einzelinteressen des individuellen Kfz-Käufers schützt.

Das Landgericht (LG) Ravensburg ist mit der Klage einer Privatperson gegen die Mercedes-Benz Group befasst. Die Klage ist auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den die Mercedes-Benz Group dadurch verursacht haben soll, dass sie das vom Kläger erworbene Dieselkraftfahrzeug mit einer nach der Verordnung (VO) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet hat, die höhere Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen zur Folge hat.

Im deutschen Recht kann bei einfacher Fahrlässigkeit ein Schadenersatzanspruch gegeben sein, wenn gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstoßen wurde. Daher fragt das LG Ravensburg den EuGH, ob die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2007/46 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen (Rahmenrichtlinie) in Verbindung mit der VO Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie die Einzelinteressen eines individuellen Käufers eines solchen Fahrzeugs schützen. Was die Berechnung des dem Kläger eventuell geschuldeten Schadenersatzes betrifft, soll der EuGH außerdem klären, ob es für die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist, dass eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen auf den Schadenersatzanspruch unterbleibt oder nur in eingeschränktem Umfang erfolgt.

Der EuGH stellt zunächst klar, dass es Sache des deutschen Gerichts ist, die Tatsachen festzustellen, die für die Feststellung erforderlich sind, ob die in Rede stehende Software als Abschalteinrichtung im Sinne der VO Nr. 715/2007 einzustufen ist und ob ihre Verwendung gemäß einer der Ausnahmen gerechtfertigt werden kann, die die VO vorsieht.

Weiter weist der EuGH darauf hin, dass Fahrzeuge gemäß der Rahmenrichtlinie einer EG-Typgenehmigung bedürfen, die nur erteilt werden kann, wenn der Fahrzeugtyp den Bestimmungen der VO Nr. 715/2007, insbesondere denen über Emissionen, entspricht. Darüber hinaus seien die Fahrzeughersteller nach der Rahmenrichtlinie verpflichtet, dem individuellen Käufer eine Übereinstimmungsbescheinigung auszuhändigen. Mit diesem Dokument, das unter anderem für die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs vorgeschrieben ist, werde bestätigt, dass dieses Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht. Durch die Übereinstimmungsbescheinigung lasse sich somit ein individueller Käufer eines Fahrzeugs davor schützen, dass der Hersteller gegen seine Pflicht verstößt, mit der VO Nr. 715/2007 im Einklang stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen.

Diese Erwägungen führen den EuGH zu dem Schluss, dass die Rahmenrichtlinie eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kfz herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der EU übereinstimmt. Dementsprechend schützten die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit denen der VO Nr. 715/2007 neben allgemeinen Rechtsgütern, wie ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, die Einzelinteressen des individuellen Kfz-Käufers gegenüber dessen Hersteller.

Die Mitgliedstaaten müssten daher vorsehen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kfz gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadenersatz hat. In Ermangelung diesbezüglicher unionsrechtlicher Vorschriften sei es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, die Modalitäten für die Erlangung des Schadenersatzanspruchs festzulegen. Allerdings dürften die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. Es könne auch vorgesehen werden, dass die nationalen Gerichte dafür Sorge tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt.

Im vorliegenden Fall werde das LG Ravensburg zu prüfen haben, ob die Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung des in Rede stehenden Fahrzeugs durch den Kläger diesem eine angemessene Entschädigung für den Schaden gewährleistet, der ihm tatsächlich durch den Einbau einer nach dem Unionsrecht unzulässigen Abschalteinrichtung in sein Fahrzeug entstanden sein soll.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21

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