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ADHS-Erkrankung: Kein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten

20.04.2022

Ein 36-jähriger Mann, der seit seiner Kindheit an ADHS leidet und, seitdem er 13 Jahre alt ist, Cannabis raucht, hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten zur Behandlung seiner Erkrankung. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden. Die Erkrankung des Klägers sei nicht schwer genug.

Der Kläger hatte im Mai 2020 bei seiner Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Behandlung mit Cannabisblüten beantragt. In einer beigefügten Stellungnahme führte der behandelnde Psychiater aus, mit Cannabisblüten sollten die ADHS sowie eine mittlere Depression behandelt werden. Es liege eine schwerwiegende Erkrankung vor. Ohne die bereits durchgeführte fortlaufende Therapie mit Cannabis wäre die Bewältigung des Alltags nicht möglich. Neben der Cannabis-Therapie werde eine Gesprächstherapie durchgeführt. Der Kläger habe durch die Zwangseinnahme von Ritalin, die bis zu seinem 13 Lebensjahr erfolgt sei, eine Abneigung gegen jegliche Einnahme von Tabletten (Tablettenphobie) entwickelt. Aus nervenärztlicher Sicht werde die Behandlung mit Cannabis befürwortet. Der Kläger profitiere bereits die letzten 20 Jahre vom Cannabiskonsum. Das Problem sei nur die Illegalität seiner Therapie, die ihn allein in diesem Jahr schon 3.000 Euro gekostet habe.

Die beklagte Krankenkasse lehnte den Antrag nach Einholung eines Gutachtens beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ab: Es fehle bereits an einer schwerwiegenden Erkrankung. Nach der aktuellen, interdisziplinären S3-Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter" solle Cannabis nicht zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden. Der Kläger sei auf weitere verfügbare psychopharmakologische und -therapeutische Therapien zu verweisen.

Widerspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos. Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dieser habe keinen Anspruch auf Versorgung mit den begehrten Cannabis-Blüten. Eine schwerwiegende Erkrankung liege nicht nachweislich vor. Hierunter fielen nur solche, die sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen unterschieden, also lebensbedrohlich oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigten. Dies sei hier nicht der Fall.

So habe der behandelnde Facharzt das Auftreten des Klägers als völlig adäquat, ruhig und reflektiert ohne nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität beschrieben. Im Übrigen stünden dem Kläger zur Behandlung seiner ADHS und Depressionen allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen wie Psychopharmaka und Psychotherapie zur Verfügung. Auch die behandelnden Fachärzte des Klägers behaupteten nicht, dass es keine alternativen Therapien gebe. Ob tatsächlich eine "Tablettenphobie" vorliege, sei fachärztlicherseits offensichtlich weder hinterfragt noch überprüft worden.

Es fehle auch an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob nicht die psychischen Probleme im Zusammenhang mit der Tabletteneinnahme mittels Psycho- beziehungsweise Verhaltenstherapie behandelbar wären. Vor allem aber habe sich der behandelnde Arzt nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob nach über 20 Jahren Cannabiskonsum zwischenzeitlich eine Sucht vorliege, die als Kontraindikation abzuklären und auszuschließen wäre. Eine erforderliche "begründete Einschätzung" des behandelnden Arztes liege daher nicht vor. Deshalb komme es hier nicht mehr darauf an, ob der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis auch daran scheitere, dass die gesundheitlichen Risiken und Konsequenzen den tatsächlichen Nutzen von Cannabis zur Minderung der ADHS-Symptomatik nach aktuellem Kenntnisstand überwögen und ob eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2022, L 11 KR 3804/21

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