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Abordnung von Richtern in Polen: Befugnisse des Justizministers gehen zu weit

17.11.2021

Die in Polen geltende Regelung, nach der der Justizminister, der gleichzeitig Generalstaatsanwalt ist, Richter an Strafgerichte höherer Ordnung abordnen und eine solche Abordnung jederzeit beenden kann, ist unionsrechtswidrig. Denn sie laufe dem Erfordernis richterlicher Unabhängigkeit zuwider, so der Europäische Gerichtshof (EuGH). Gerade in Strafsachen müssten die für die Abordnung von Richtern geltenden Rechtsvorschriften die erforderlichen Garantien dafür aufweisen, dass die Abordnung in keinem Fall als Instrument zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird.

Das Regionalgericht Warschau, Polen, fragt sich in sieben bei ihm anhängigen Strafsachen, ob die Zusammensetzung der entsprechenden Spruchkörper, denen ein vom Justizminister abgeordneter Richter angehört, mit EU-Recht vereinbar ist. Es führt aus, nach den polnischen Rechtsvorschriften könne der Justizminister einen Richter an ein Strafgericht höherer Ordnung abordnen. Die Kriterien, nach denen dies erfolge, seien nicht offiziell bekannt. Die Entscheidung über die Abordnung unterliege auch keiner gerichtlichen Kontrolle. Auch könne der Justizminister die Abordnung jederzeit beenden. Für die entsprechende Entscheidung seien keine im Voraus bestimmten Kriterien maßgeblich und sie müsse auch nicht begründet werden.

Der EuGH bestätigt die Zweifel des Regionalgerichts. Die polnischen Vorschriften zur Richterabordnung wahrten das Erfordernis richterlicher Unabhängigkeit nicht. So müsse die Entscheidung über die Abordnung eines Richters und die Entscheidung, mit der die Abordnung beendet wird, zur Vermeidung von Willkür und Manipulationen anhand von im Vorhinein bekannten Kriterien getroffen und ordnungsgemäß begründet werden. Außerdem müsse die Beendigung der Abordnung eines Richters ohne dessen Zustimmung vor den Gerichten nach einem Verfahren angefochten werden können, das die Verteidigungsrechte in vollem Umfang gewährleistet.

Da der Justizminister in Polen gleichzeitig das Amt des Generalstaatsanwalts ausübt, verfüge er in einer bestimmten Strafsache über Macht sowohl über den Staatsanwalt der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch über die abgeordneten Richter. Dies sei geeignet, bei den Rechtsunterworfenen begründete Zweifel an der Unparteilichkeit der abgeordneten Richter aufkommen zu lassen.

Diese Umstände ließen – vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden abschließenden Würdigung – insgesamt betrachtet den Schluss zu, dass die abgeordneten Richter während der Dauer der Abordnung nicht über die Garantien und die Unabhängigkeit verfügen, über die ein Richter in einem Rechtsstaat normalerweise verfügen muss. Eine solche Befugnis sei nicht mit der Verpflichtung zur Beachtung des Erfordernisses der Unabhängigkeit vereinbar.

Dies betreffe auch die Unschuldsvermutung in Strafverfahren. Denn diese setze voraus, dass der Richter unparteiisch und unvoreingenommen ist, wenn er die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten prüft. Im vorliegenden Fall könnten die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Richter und damit die Unschuldsvermutung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens beeinträchtigt werden.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16.11.2021, C-748/19 bis C-754/19

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