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Abgasskandal: Thermofenster ist unzulässige Abschalteinrichtung

18.07.2022

Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Da eine solche Vertragswidrigkeit des Fahrzeugs nicht geringfügig ist, ist die Auflösung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Käufer von Fahrzeugen der Marke VW mit einer Software, durch die die Abgasrückführung des Fahrzeugs nach Maßgabe insbesondere der ermittelten Temperatur verringert wird, klagen vor österreichischen Gerichten auf Aufhebung ihrer zwischen 2011 und 2013 geschlossenen Kaufverträge. Nach den Angaben dieser Gerichte gewährleistet die Software die Einhaltung der auf EU-Ebene festgelegten Grenzwerte für Stickstoffoxid–Emissionen nur, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt. Außerhalb dieses so genannten Thermofensters wird die Abgasrückführungsquote linear auf null gesenkt, was zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt.

Das Thermofenster resultiert aus einem Update der Software der fraglichen Fahrzeuge, das von VW zum Austausch einer unionsrechtswidrigen Software vorgenommen wurde. Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt hatte eine Genehmigung für dieses Update erteilt, nachdem es zum Ergebnis gekommen war, dass dieses keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Die österreichischen Gerichte haben dem EuGH mehrere Fragen zur Zulässigkeit eines solchen Thermofensters und zu etwaigen Ansprüchen der Kläger vorgelegt, soweit es sich nach der europäischen Regelung, die zu dem für die Sachverhalte maßgeblichen Zeitpunkt galt, um Verbraucher handelt.

Der EuGH stellt zunächst fest, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Umgebungstemperaturen von weniger als 15 Grad Celsius seien im EU-Gebiet üblich. Zudem seien die auf Unionsebene festgelegten Emissionsgrenzwerte auch dann einzuhalten, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 Grad Celsius liegen. Daher schränke eine Software wie die in Rede stehende die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei normalen Nutzungsbedingungen ein.

Der alleinige Umstand, dass diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie Abgasrückführventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt, die vom Motor getrennt sind, mache sie noch nicht zulässig. Anders könnten die Dinge stehen, wenn nachgewiesen wäre, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines dieser Bauteile verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine solche Abschalteinrichtung sei nur dann "notwendig", wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung solche Risiken abwenden kann. Es sei Sache der vorlegenden Gerichte zu prüfen, ob dies auf die Abschalteinrichtung, mit der die fraglichen Fahrzeuge ausgestattet sind, zutrifft. Der EuGH weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ausstattung mit einer Abschalteinrichtung nicht allein deswegen notwendig sein kann, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen.

Selbst wenn die oben beschriebene Notwendigkeit bestünde, sei eine Abschalteinrichtung, wenn sie unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, jedenfalls unzulässig. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, könnte das dazu führen, dass diese Ausnahme öfter anwendbar wäre als das Verbot, und brächte somit eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der Stickstoffoxidemissionen von Fahrzeugen mit sich. Der EuGH stellt im Übrigen klar, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eingebaut wurde, für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung unzulässig ist, unerheblich ist.

In Bezug auf die Ansprüche der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des gekauften Verbrauchsgutes weist der EuGH auf die Richtlinie 1999/44 hin. Danach könne der Verbraucher vom Verkäufer die Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Nur wenn der Verbraucher weder auf die Nachbesserung noch auf die Ersatzlieferung einen Anspruch hat oder wenn der Verkäufer keine dieser Abhilfemaßnahmen binnen einer angemessenen Frist oder ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchgeführt hat, könne der Verbraucher eine angemessene Preisminderung oder eine Vertragsauflösung verlangen. Die Vertragsauflösung sei jedoch ausgeschlossen, wenn die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes geringfügig ist. Der EuGH stellt insoweit fest, dass ein Fahrzeug nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, und somit vertragswidrig ist, wenn dieses Fahrzeug, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Zudem könne eine solche Vertragswidrigkeit nicht als "geringfügig" eingestuft werden, selbst wenn dieser Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte. Folglich sei die Vertragsauflösung nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Europäischer Gerichtshof, Urteile vom 14.07.2022, C-128/20, C-134/20 und C-145/20

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