Mitglied werden
Suche
Vor Ort
Presse
Menü

Veränderung pro Sekunde

Staatsverschuldung Deutschland

Login
Menü schließen

Menü schließen

Sie sind hier:  Startseite  Aktuelles  EG-Typgenehmigung: Muss durch anerkannte...

EG-Typgenehmigung: Muss durch anerkannte Umweltvereinigungen anfechtbar sein

09.11.2022, https://onlineservice.addison.de/1748528759/urlapi/xml/aktuell/show/id/13318

Anerkannte Umweltvereinigungen müssen eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge, die mit möglicherweise verbotenen "Abschalteinrichtungen" ausgestattet sind, vor Gericht anfechten können. Dies stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), eine nach deutschem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte anerkannte Umweltvereinigung, ficht vor dem Verwaltungsgericht (VG) Schleswig-Holstein die Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamts an, mit der für bestimmte Fahrzeuge der Marke VW die Verwendung einer Software zur Verringerung des Recyclings von Schadstoffen nach Maßgabe der Außentemperatur genehmigt wurde. Die Software legt ein Thermofenster fest, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter minus neun Grad Celsius bei null Prozent liegt, zwischen minus neun und elf Grad Celsius bei 85 Prozent und über elf Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 Prozent zu erreichen. Bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die 2018 10,4 Grad Celsius betragen haben soll, liegt die Abgasrückführungsrate also nur bei 85 Prozent.

Nach Ansicht der DUH stellt ein solches Thermofenster eine nach EU-Recht unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die Bundesrepublik Deutschland, gegen die sich die Klage richtet, macht geltend, die DUH sei für eine Anfechtung der streitigen Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung geändert wird, nicht klagebefugt und ihre Klage daher unzulässig. Auch sei das in Rede stehende Thermofenster mit EU-Recht vereinbar.

Das VG Schleswig-Holstein, das in Bezug auf diese beiden Punkte Zweifel hat, hat den EuGH um Auslegung zum einen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit der EU-Grundrechte-Charta und zum anderen der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ersucht.

Der EuGH antwortet erstens, dass das Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der Charta dahin auszulegen ist, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten. Das Übereinkommen von Aarhus verpflichte die Mitgliedstaaten nämlich in Verbindung mit der Charta dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz zu gewährleisten, und verbiete es ihnen, Umweltvereinigungen jede Möglichkeit zu nehmen, die Beachtung bestimmter Vorschriften des EU-Umweltrechts überprüfen zu lassen.

Zweitens erinnert der EuGH in Bezug auf das fragliche Thermofenster daran, dass er zu einem identischen Thermofenster bereits entschieden hat, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, eine "Abschalteinrichtung" darstellt. Nach der Verordnung Nr. 715/2007 sei die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Jedoch könne eine Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass sie ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Ob dies hier der Fall ist, habe das vorlegende Gericht zu prüfen.

Außerdem sei, wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden habe, eine solche "Notwendigkeit" der Verwendung einer Abschalteinrichtung nur dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann. Der EuGH weist jedenfalls darauf hin, dass selbst bei Vorliegen der oben beschriebenen Notwendigkeit die Abschalteinrichtung, wenn sie während des überwiegenden Teils des Jahres unter normalen Fahrbedingungen funktionieren sollte, unzulässig ist. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, würde dies dazu führen, dass die Ausnahme häufiger zur Anwendung käme als das Verbot, wodurch der Grundsatz der Begrenzung der Stickstoffoxid-Emissionen unverhältnismäßig beeinträchtigt würde.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 08.11.2022, C-873/19

Mit Freunden teilen
Die Schuldenuhr Deutschlands

Veränderung pro Sekunde

Staatsverschuldung Deutschland