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Dieselverfahren: Bundesgerichtshof senkt Hürden für Schadenersatzansprüche der Käufer
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Anschluss an eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Voraussetzungen gelockert, unter denen Käufer von Dieselfahrzeugen in "Dieselverfahren" den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können. So hafteten die Kfz-Hersteller nicht nur im Fall arglistigen Handelns, sondern auch bei Fahrlässigkeit.
Der EuGH hatte am 21.03.2023 entschieden, dass der Käufer beim Erwerb eines Kfz, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Artikel 5 eingehalten ist. Wird er in diesem Vertrauen enttäuscht, könne er vom Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadenersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen (C-100/21).
Zu gewähren sei allerdings, wenn der Kfz-Hersteller den Käufer nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hat, nicht großer Schadenersatz, so der BGH. Der Käufer könne auf Grundlage der § 823 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) im Fall der Enttäuschung seines auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung gestützten Vertrauens nicht verlangen, dass der Kfz-Hersteller das Fahrzeug übernimmt und den Kaufpreis abzüglich vom Käufer erlangter Vorteile erstattet. Ein solcher Anspruch komme nur bei einem im Sinne von §§ 826, 31 BGB arglistigen Verhalten des Kfz-Herstellers in Betracht.
Für § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV bleibe es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein Schadenersatzanspruch nach dem maßgeblichen nationalen Recht eine Vermögensminderung durch die enttäuschte Vertrauensinvestition bei Abschluss des Kaufvertrags über das Kfz voraussetzt. Da der EuGH bei der Ausgestaltung des Schadenersatzanspruchs auf das nationale Recht verwiesen hat, konnte der BGH eigenen Angaben zufolge auf die allgemeinen Grundsätze des deutschen Schadensrechts zurückgreifen, die auch bei einem fahrlässigen Verstoß gegen das europäische Abgasrecht einen effektiven und verhältnismäßigen Schadenersatzanspruch gewähren.
Dabei ging der BGH davon aus, dass die jederzeitige Verfügbarkeit eines Kfz Geldwert hat. Deshalb erleide der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des EU-Rechts versehen ist, stets einen Schaden, weil aufgrund einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung die Verfügbarkeit des Kfz in Frage stehe. Zugunsten des Käufers greife der Erfahrungssatz, dass er das Kfz im Fall seiner Ausstattung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte.
Das Vorhandensein der Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 als solcher müsse im Prozess der Käufer darlegen und beweisen, während die ausnahmsweise Zulässigkeit einer festgestellten Abschalteinrichtung aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 der Kfz-Hersteller darlegen und beweisen müsse.
Stellt der Tatrichter das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung fest, müsse der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Kfz den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht. Beruft sich der Kfz-Hersteller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gölten dafür die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeughersteller von jedem Verschulden entlasten, hafte er nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV nicht. Das deutsche Recht der unerlaubten Handlung setze für eine deliktische Haftung des Schädigers stets ein Verschulden voraus. Eine verschuldensunabhängige deliktische Haftung könnten deutsche Gerichte, die auch nach den Vorgaben des EuGH im Rahmen des geltenden nationalen Rechts zu entscheiden haben, nicht anordnen.
Der dem Käufer zu gewährende Schadenersatz müsse nach den Vorgaben des EuGH einerseits eine effektive Sanktion für die Verletzung des Unionsrechts durch den Fahrzeughersteller darstellen und andererseits den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Dem einzelnen Käufer sei daher stets und ohne, dass das Vorhandensein eines Schadens als solches mittels eines Sachverständigengutachtens zu klären wäre oder durch ein Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden könnte, ein Schadenersatz in Höhe von wenigstens fünf und höchstens 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises zu gewähren. Innerhalb dieser Bandbreite obliege die genaue Festlegung dem Tatrichter, der sein Schätzungsermessen ausüben könne, ohne sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen. Auf den vom Tatrichter geschätzten Betrag müsse sich der Käufer Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die der BGH für die Vorteilsausgleichung auf der Grundlage der Gewähr kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB entwickelt hat.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22