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Wohnungseigentümergemeinschaft: Von Vertreterversammlung während Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse nicht nichtig

11.03.2024

Während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft sind nicht deshalb nichtig sind, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Frage, ob sich allein daraus ein Beschlussanfechtungsgrund ergibt, hat er offengelassen.

Geklagt hatten Mitglieder der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft. Deren Verwalterin lud zu einer am 24.11.2020 "schriftlich" stattfindenden Eigentümerversammlung ein, verbunden mit der Aufforderung an die Wohnungseigentümer, ihr unter Verwendung beigefügter Formulare eine Vollmacht und Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen. Fünf von 24 Wohnungseigentümern kamen der Aufforderung nach und bevollmächtigten die Verwalterin; die Kläger erteilten keine Vollmacht. In der Eigentümerversammlung war nur die Verwalterin anwesend. Mit Schreiben vom 24.11.2020 teilte diese mit, die Wohnungseigentümer seien bei der allein von ihr abgehaltenen Versammlung aufgrund erteilter Vollmachten vertreten gewesen. Sie übermittelte zugleich ein Protokoll über die gefassten Beschlüsse.

Die Kläger erhoben Beschlussmängelklage. Diese wies das Amtsgericht (AG) wegen Ablaufs der einmonatigen Frist für die Anfechtungsklage ab. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht (LG) die Beschlüsse für nichtig erklärt. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Wohnungseigentümergemeinschaft hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Entscheidung des AG wiederhergestellt. Die Klage ist damit endgültig abgewiesen worden.

Zu prüfen seien allein Nichtigkeitsgründe, weil die Kläger die einmonatige Klagefrist nicht gewahrt haben, so der BGH. Die Beschlüsse seien nicht nichtig.

Die Einberufung und Abhaltung der Eigentümerversammlung vom 24.11.2020 habe allerdings nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) entsprochen. Eine solche Versammlung setze grundsätzlich ein physisches Zusammentreffen der Wohnungseigentümer voraus, stellt der BGH klar. Eine rein virtuelle Eigentümerversammlung sehe das WEG nicht vor. Eine so genannte Vertreterversammlung, in der – wie hier – nur eine Person anwesend ist, die neben der Versammlungsleitung die Vertretung der abwesenden Eigentümer übernommen hat, sei zwar auch eine Versammlung, in der Beschlüsse gefasst werden können. Sie sei aber nur dann zulässig, wenn sämtliche Wohnungseigentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben. Daran fehle es hier.

Dass die Durchführung einer Eigentümerversammlung am 24.11.2020 wegen der Corona-Pandemie aufgrund infektionsschutzrechtlicher Bestimmungen verboten war, habe nichts an den wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für die Abhaltung einer Eigentümerversammlung geändert. Der Gesetzgeber habe in § 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) lediglich angeordnet, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibt, und dass der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fortgilt. Für die Durchführung von Eigentümerversammlungen habe er dagegen keine von §§ 23, 24 WEG abweichenden Regelungen getroffen, sodass diese auch während der Pandemie galten. Dies habe die Verwalterin außer Acht gelassen, indem sie die Versammlung ohne Teilnahmemöglichkeit aller Eigentümer alleine durchgeführt habe.

Das, so der BGH, führe jedoch nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse. Ein Beschluss sei nach § 23 Absatz 4 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Zwar könne sich nach der BGH-Rechtsprechung die Nichtigkeit eines Beschlusses daraus ergeben, dass er in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift, wozu unter anderem unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören. Diese Rechtsprechung betreffe aber den Inhalt von Beschlüssen, während es hier um deren Zustandekommen gehe. Bei der Beschlussfassung sei das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Wohnungseigentümer verzichtbar.

Die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung enthaltenen Formvorschriften gehören laut BGH nicht zu den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des WEG, weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen abgeändert werden können. Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer führe deshalb regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse. Ob eine Nichtigkeit in Betracht kommen könnte, wenn unter normalen Umständen allen Wohnungseigentümern die persönliche Teilnahme an der Versammlung verweigert wird, hat der BGH dahinstehen lassen. Jedenfalls während der Corona-Pandemie begangene Rechtsverstöße dieser Art führten schon deshalb nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse, weil die Abhaltung einer "echten" Eigentümerversammlung unter Einhaltung der §§ 23, 24 WEG zum maßgeblichen Zeitpunkt unmöglich war.

Während der Pandemie habe sich der Verwalter in einer unauflöslichen Konfliktsituation befunden. Er habe vor dem Dilemma gestanden, entweder das Wohnungseigentums- oder das Infektionsschutzrecht zu missachten. Einerseits hätten wegen der nur rudimentären Regelungen in § 6 COVMG die wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für Eigentümerversammlungen fortbestanden. Insbesondere habe nach § 24 Absatz 1 WEG mindestens einmal im Jahr eine Versammlung einberufen werden müssen; von dieser Vorgabe seien die Verwalter nicht befreit gewesen. Unabhängig davon habe es auch während der Pandemie erforderlich sein können, die Eigentümerversammlung mit gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu befassen. Andererseits sei die Durchführung einer Eigentümerversammlung über einen weiten Zeitraum infektionsschutzrechtlich ausgeschlossen gewesen. Bei Durchführung einer solchen seien die Verwalter Gefahr gelaufen, gegen bußgeldbewehrte Corona-Schutzvorschriften zu verstoßen.

In dieser Ausnahmesituation sei die Durchführung einer Vertreterversammlung regelmäßig aus Praktikabilitätserwägungen erfolgt. Es habe auch im Interesse der Wohnungseigentümer gelegen, dass der Verwalter nicht, wie es teilweise gehandhabt wurde, unter Missachtung des Wohnungseigentumsrechts während der Corona-Pandemie gar keine Versammlung abhielt. Durch eine Vertreterversammlung sei jedenfalls die Fassung von Beschlüssen ermöglicht worden, die der gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden konnten. Die Eigentümer hätten sich bei der Stimmabgabe durch den Verwalter vertreten lassen und diesem jeweils konkrete Weisungen erteilen können, wie er in der Versammlung abstimmen sollte.

Die Frage, ob sich allein daraus, dass die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten, ein Beschlussanfechtungsgrund ergibt, bedurfte laut BGH wegen der versäumten Anfechtungsfrist keiner Entscheidung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.03.2024, V ZR 80/23

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