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Wegen überlanger Verfahrensdauer: Beklagter im Komplex "Göttinger Gruppe" zu entschädigen

08.11.2021

Wegen überlanger Verfahrensdauer beim Landgericht (LG) Göttingen hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig einem Beklagtem im Komplex "Göttinger Gruppe" eine Entschädigung zugesprochen.

Im Jahr 2011 hat der Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren Eingang in das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gefunden. § 198 GVG ermöglicht den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, nach erhobener Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren in einem anschließenden Entschädigungsprozess die aus der Verzögerung entstandenen Nachteile geltend zu machen. Hierbei hat das Entschädigungsgericht unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls darüber zu befinden, ob die unter anderem aus dem Rechtsstaatsgebot folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.

Dies hat das OLG im Rahmen einer Entschädigungsklage bejaht und dem Kläger eine Entschädigung von rund 6.500 Euro wegen unangemessener Dauer eines beim LG Göttingen geführten Verfahrens im Komplex "Göttinger Gruppe" zugesprochen.

In dem der Entschädigungsklage zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hatten Anleger Ende 2011 den Kläger auf Schadenersatz verklagt. Das Verfahren war von der zuständigen Kammer des LG als Pilotverfahren bestimmt worden, das vorrangig gefördert und als Grundlage für weitere gleichgelagerte Verfahren herangezogen werden sollte. 2013 gab die zuständige Kammer ein Gutachten in Auftrag, das der Sachverständige Ende Mai 2016 vorlegte. Erstmals im Oktober 2017 erhob der Kläger beim LG Göttingen Verzögerungsrüge, die er im Januar 2019 wiederholte. Knapp drei Jahre nach Vorlage des Gutachtens entschied die Kammer im März 2019 durch Beschluss, ein weiteres Ergänzungsgutachten einzuholen. Die Anleger nahmen ihre Klage im Oktober 2019 zurück, sodass das Ausgangsverfahren ohne Entscheidung in der Sache beendet wurde.

Der Kläger des beim OLG geführten Entschädigungsverfahrens verlangte 11.550 Euro von dem Land Niedersachsen als Entschädigung dafür, dass das LG Göttingen das Verfahren nicht in angemessener Zeit verhandelt und abgeschlossen habe. Die Gesamtverfahrensdauer von sieben Jahren und elf Monaten sei unangemessen lang.

Das OLG hat unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte eine überlange Verfahrensdauer im Umfang von acht Monaten festgestellt. Die Kammer des LG habe das Verfahren im Verfahrensabschnitt nach Vorlage des ersten Gutachtens bis zur Entscheidung über die Einholung eines Ergänzungsgutachtens auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Bearbeitungs- und Bedenkzeit nicht ausreichend zügig gefördert. Weitere von dem Kläger gerügte Verzögerungen ergäben sich hingegen nicht.

Der Kläger sei für die hierdurch erlittenen immateriellen Schäden, insbesondere die nachteiligen psychologischen Auswirkungen, wie Besorgnis, Ungewissheit, aber auch Rufschädigungen, die sich aus der ungewissen Verfahrensdauer ergeben, zu entschädigen. Bei der Entschädigung hat das OLG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Regelbetrag aufgrund der herausragenden Bedeutung des verzögerten Pilotverfahrens angemessen zu erhöhen. Dabei berücksichtigte es die Auswirkungen auf die – vom verzögerten Pilotverfahren – abhängigen weiteren Ausgangsverfahren. So habe es sich nicht um ein beliebiges Verfahren einer Serie gehandelt, sondern um ein Pilotverfahren mit wegweisender Bedeutung für rund 140 weitere Verfahren, die während dieser Zeit faktisch ruhten.

Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 05.11.2021, 4 EK 23/20, nicht rechtskräftig

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