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Verfassungsschutz: Darf AfD und JA als Verdachtsfall beobachten

14.05.2024

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD und ihre Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland" (JA) als Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit hierüber unterrichten. Auch die Beobachtung des so genannten Flügel in der Vergangenheit – zunächst als Verdachtsfall, später als "erwiesen extremistische Bestrebung" – und deren Bekanntgabe waren rechtmäßig. Dies hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen mit drei Urteilen entschieden. Die Berufungen der AfD und der JA gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Köln vom 08.03.2022 waren damit erfolglos.

Die AfD habe keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) stellten eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar. Dies gelte auch für politische Parteien, die unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes (GG) stehen. Die Befugnis zur nachrichtendienstlichen Beobachtung bestehe, wenn ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Vereinigung Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bloße Vermutungen oder Spekulationen genügten nicht. Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führe aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.

Das OVG sieht hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. Es bestehe der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stelle eine nach dem GG unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren sei. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar sei nicht die deskriptive Verwendung eines "ethnisch-kulturellen Volksbegriffs", aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird.

Hier bestünden hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen. Dem OVG liege eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird. Daneben bestünden hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. In der AfD würden in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen gerichteten Forderungen. Nach Auffassung des OVG liegen bei der AfD darüber hinaus Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen.

Das OVG war eigenen Angaben zufolge nicht gehalten, weitere Aufklärungsmaßnahmen betreffend die so genannte Staats- und Quellenfreiheit der AfD zu ergreifen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbot beziehungsweise zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung folge nicht, dass auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz etwaige Quellen "abgeschaltet" werden müssen.

Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt bei der Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall aus sachwidrigen und parteipolitischen Motiven gehandelt hat oder handelt, lägen nicht vor.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sei auf der Grundlage des BVerfSchG auch berechtigt, die Öffentlichkeit über die Einstufung als Verdachtsfall zu informieren. Die bestehenden Anhaltspunkte seien, wie es das Gesetz vorsieht, hinreichend gewichtig. Dies gelte, obwohl die AfD durch die Bekanntgabe in ihren Rechtspositionen als politische Partei beeinträchtigt wird. Die maßgebliche Vorschrift sei durch den Gesetzgeber gerade im Hinblick auf die Verlautbarung von Verdachtsfällen geändert worden und solle auch diesen Fall umfassen. Eine sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der AfD sammelt, belaste diese daher auch nicht unverhältnismäßig, jedenfalls solange mit der Bezeichnung als "Verdachtsfall" in keiner Weise der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.

Auch die JA könne nicht verlangen, dass die Beobachtung als Verdachtsfall und die entsprechende Bekanntgabe unterbleiben, so das OVG weiter. Es fänden sich hier ebenso tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, namentlich gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen. Es bestehe der begründete Verdacht, dass die JA deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagen will. Dies ergebe sich im Ausgangspunkt aus dem bei Einstufung als Verdachtsfall noch geltenden "Deutschlandplan" und den dortigen Ausführungen zur Migrationspolitik und Einwanderung. Die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen seien in der Folge nicht entfallen, obgleich es im Programm der JA Änderungen gegeben hat. Ebenso bestehe der begründete Verdacht, dass ihre politischen Vorstellungen auf eine Missachtung der Menschenwürde und eine glaubensbezogene Diskriminierung von Muslimen zielen. Auch in Bezug auf die JA erweise sich die Bekanntgabe der Einstufung auf der Grundlage des BVerfSchG als gerechtfertigt.

Die Berufung der AfD betreffend den "Flügel" hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die – zwischenzeitlich eingestellte – Beobachtung des "Flügel" als Verdachtsfall und später als "erwiesen extremistische Bestrebung" seien rechtmäßig gewesen. Beim "Flügel" habe es sich um einen Personenzusammenschluss im Sinne des BVerfSchG gehandelt. Auch wenn keine formelle Mitgliedschaft bestand, habe er eine hinreichend verfestigte Organisationsstruktur besessen. Es habe zunächst der Verdacht bestanden, dass sich die politischen Zielsetzungen des "Flügel" gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen richteten. Die dokumentierten Äußerungen rechtfertigten am 12.03.2020, dem Tag der Bekanntgabe der "Hochstufung", auch die über den Verdacht hinausgehende Schlussfolgerung, die Ziele des "Flügel" richteten sich tatsächlich gegen den Schutz der Menschenwürde, namentlich von Deutschen mit Migrationshintergrund sowie deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens. Die Bekanntgabe der Einstufungen war laut OVG ebenfalls rechtmäßig.

Der OVG hat in allen drei Verfahren die Revision nicht zugelassen. Hiergegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 13.05.2024, 5 A 1216/22, 5 A 1217/22, 5 A 1218/22

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