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Unfall mit «Bierbike»: Betreiber haftet wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen

05.08.2020

Nach einem Unfall mit einem so genannten "Bierbike" hat das Amtsgericht (AG) Hannover entschieden, dass der Betreiber des Gefährts aufgrund unzulänglicher Sicherheitsvorkehrungen für entstandene Verletzungsfolgen haftet, wenn der in der Mitte des Gefährts stehende "Zapfer" zu Fall kommt.

 

Die Beklagte bietet geschäftsmäßig Bierbike-Touren an. Der Kläger nahm an einer solchen Tour teil. Er fungierte dabei als "Zapfer" aus dem zur Verfügung gestellten Bierfass, während die anderen Teilnehmer das Bike mit ihrer Körperkraft über Pedalen antrieben. Dem den Ausschank stehenden Kläger standen keine speziellen Sicherungsgriffe oder Haltevorrichtungen zur Verfügung. Er konnte sich lediglich an den das Dach des Gefährts abstützenden Metallstreben festhalten. Eine Mitarbeiterin der Beklagten lenkte das Bike und bremste gegebenenfalls.

 

Gegen Ende der Tour lenkte die Mitarbeiterin das Gefährt von der Straße auf das Betriebsgelände. Im Bereich der Einfahrt bremste sie das Gefährt ab, wodurch der Kläger zu Fall kam. Es wurde eine nicht dislozierte Sternumfraktur festgestellt. Der Kläger verlangte von der Beklagten ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 1.500 Euro, sowie Fahrtkosten für Arztbesuche und Zuzahlungen für Schmerzmittel von insgesamt rund 40 Euro.

 

Laut AG Hannover haftet die Beklagte gemäß §§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), weil sie ihr vertraglich auch gegenüber dem Kläger obliegende Schutzpflichten verletzt hat. Das den Teilnehmern zur Verfügung gestellte Fahrzeug sei nicht so ausgerüstet gewesen, dass der als Zapfer fungierende Teilnehmer hinreichend vor Körper- und Gesundheitsschäden geschützt war. Das Fahrzeug habe im Bereich um die Zapfanlage über keine hinreichenden technischen Einrichtungen verfügt, die die dort während der Fahrt aufhältige Person vor Stürzen schützt. Insbesondere war es nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend, dass der Zapfer sich an den Streben für die Dachbefestigung oder an der Zapfanlage selbst festhalten konnte.

 

Nach den Anpreisungen der Beklagten sollte während der Fahrt aus dem zur Verfügung gestellten Fass Bier gezapft und getrunken werden. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen müssen, dass die zum Zapfen des Bieres eingesetzte Person nicht stets spontan in der Lage sein würde, bei plötzlichen Fahrmanövern sogleich die Hände frei zu haben und sicheren Halt zu finden. Denn die Tätigkeit des Bierzapfens werde regelmäßig beidhändig ausgeführt. Zudem sei auch aus Sicht der Beklagten zu erwarten gewesen, dass sich auch der Zapfer am Bierkonsum beteiligen und aufgrund der im Lauf der Veranstaltung eintretenden Wirkungen des Alkohols in seiner Aufmerksamkeit und Steuerungsfähigkeit zunehmend beeinträchtigt sein und dadurch die zu beachtende Vorsicht vernachlässigen werde. Die Beklagte habe auch damit rechnen müssen, dass es während der Veranstaltungen zu plötzlichen Fahrmanövern kommen würde, die geeignet waren, die zum Zapfen eingesetzte Person aus dem Gleichgewicht zu bringen.

 

Unter diesen Umständen hätte die Beklagte das Bierbike mit einem Sicherungssystem – etwa einem Gurt – für den Zapfer ausstatten müssen. Dies wäre ihr auch zumutbar gewesen. Der Sturz des Klägers sei – jedenfalls auch – auf die fehlenden technischen Einrichtungen zurückzuführen. Es sei auch davon auszugehen, dass sich der Kläger einer technischen Sicherung im Fall ihres Vorhandenseins und bei entsprechender Einweisung regelrecht verhalten und dieser Möglichkeit bedient hätte.

 

Schließlich habe auch die Führerin des Bikes schuldhaft zu dem Unfall beigetragen. Dieses Verschulden müsse sich die Beklagte im Rahmen der hier gegebenen vertraglichen Haftung gemäß § 278 BGB zurechnen lassen. Die Führerin des Fahrzeuges habe nämlich die Pflicht gehabt, sich auf das Verhalten der für den Vortrieb des Gefährts sorgenden Teilnehmer einzustellen. Sie habe insbesondere damit rechnen müssen, dass die Teilnehmer aus alkoholbedingtem Übermut das Gefährt auch unaufgefordert beschleunigen könnten. Sie hätte das Fahrzeug rechtzeitig und vorsichtig abbremsen müssen.

 

Allerdings müsse sich der Kläger gemäß § 254 BGB ein Mitverschulden entgegenhalten lassen, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei und bei der Frage des Schadenersatzes zu einer Haftungsquote (von einem Drittel) führe. Denn er habe sich unvorsichtig verhalten und dadurch zur Entstehung des Schadens nicht unmaßgeblich beigetragen. Denn es sei für ihn offensichtlich gewesen, dass sich die Fahrt dem Ende zuneigte und es deswegen zu Fahrmanövern kommen könnte, die geeignet waren, sich auf seine Standsicherheit auszuwirken. Gleichwohl habe er sich nicht um seine Eigensicherung gekümmert, sondern den Zapfvorgang fortgesetzt.

 

Das AG Hannover sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld von 1.000 Euro zu. Er habe durch den Bruch des Sternums rund sechs Wochen lang permanent deutliche Schmerzen gehabt. Angesichts seines Mitverschuldens sei ein über 1.000 Euro hinausgehendes Schmerzensgeld nicht gerechtfertigt, zumal die Verletzungen folgenlos ausgeheilt seien. Zwar liege das überwiegende Verschulden bei der Beklagten, deren fahrlässiges Handeln im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit liegt. Das Mitverschulden des Klägers sei jedoch nicht unbeträchtlich. Er habe sich während der zweistündigen Fahrt mit den Eigenheiten des Gefährts vertraut machen können. Laut AG war es auch seine Sache, sich stets Gewissheit über bevorstehende Fahrmanöver zu verschaffen und für einen sicheren Halt zu sorgen.

 

Amtsgericht Hannover, Urteil vom 29.07.2020, 512 C 15505/19, noch nicht rechtskräftig

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