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Umweltaktivistin: Durfte nicht observiert und zur Fahndung ausgeschrieben werden

11.09.2023

Eine Umweltaktivistin hat sich vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hannover erfolgreich gegen ihre Observierung sowie dagegen gewehrt, dass sie zur Fahndung ausgeschrieben worden war.

Die Aktivistin hat bereits an vielen politischen Protesten teilgenommen. Öffentlich bekannt wurde sie durch ihre Kletter- und Abseilaktionen, die sie auch im Bereich der Bahnanlagen des Bundes durchführte. Neben ihren eigenen Protestaktionen sie journalistisch tätig und berichtet über die Protestaktionen anderer Personen. Zudem vermittelt sie ihr Wissen über das Protestklettern in Form von Vorträgen, Kursen und Beiträgen in den sozialen Medien und stellt hierzu Videobeiträge und schriftliche Erläuterungen bereit.

Im Hinblick auf eine Kletter- und Abseilaktion schrieb die Beklagte die Klägerin für zwei Jahre zur Fahndung zum Zweck der Personenkontrolle aus. Dies hatte zur Folge, dass die Klägerin im polizeilichen Informationssystem INPOL eingetragen wurde und die Polizeibeamten über INPOL bei jeder polizeilichen Kontrolle auf die Klägerin hingewiesen worden sind. Nach dem Vorbringen der Klägerin führte dies dazu, dass sie jedes Mal viel länger und gründlicher kontrolliert worden ist als die sie begleitenden Personen.

2020 sollte ein CASTOR-Transport aus dem britischen Sellafield nach Biblis stattfinden. Dieser wurde pandemiebedingt mehrfach verschoben. Schließlich sollte er Anfang November 2020 stattfinden. Hierüber berichtete die Klägerin auf ihrer Homepage und wies darauf hin, dass Aktionen geplant seien. Deshalb ordnete die Beklagte am 22.10.2020 die Observation der Klägerin für zwei Wochen (befristet bis zum Ende des Nukleartransportes) unter Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen an.

Dies begründete sie damit, dass die Klägerin bereits mehrfach mit Kletter- und Abseilaktionen im Bahnbereich aufgetreten sei. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass sie anlässlich des Nukleartransports eine oder mehrere Blockadeaktionen vorbereite.

Die Klage der Aktivistin gegen die Observation und Fahndungsausschreibung hatte Erfolg. Die Rechtsgrundlage, auf die die Beklagte die Observation gestützt hat (§ 28 Bundespolizeigesetz – BPolG), sei verfassungswidrig. Für eine längerfristige Observation sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wegen der Schwere des Eingriffs ein Richtervorbehalt notwendig. Entsprechend sehe ein neuer Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) vom Mai 2023 vor, die in § 28 BPolG getroffene Observationsregelung einem Richtervorbehalt zu unterwerfen. Das VG hat davon abgesehen, das Verfahren dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen. Dies müsste es nur tun, wenn es auf die Gültigkeit des § 28 BPolG ankäme. Dies sei aber nicht der Fall, weil auch die Voraussetzungen der Vorschrift im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien.

Das VG hat schon Zweifel daran, dass eine konkrete Gefahr für Leib und Leben vorgelegen hat. Die Klägerin habe in der Vergangenheit stets darauf geachtet, Bereiche in der Nähe elektrifizierter Oberleitungen zu meiden. Zudem dürfte die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im Hinblick auf die Kletterfertigkeiten der Klägerin und etwaiger Einsatzkräfte äußerst gering sein. Das VG konnte die Frage letztlich offenlassen, da als mildere Maßnahme eine offene Observation in Frage gekommen wäre. Es sei nicht erforderlich gewesen, die Klägerin verdeckt zu beobachten, da die Beklagte ihr Ziel – die Klägerin rechtzeitig an Abseilaktionen zu hindern – auch bei einer offenen Observation erreicht hätte.

Die auf § 30 Absatz 5 BPolG gestützten Fahndungsausschreibungen seien ebenfalls rechtswidrig. Zwar sei die Norm verfassungsgemäß. Die Beklagte habe aber die Reichweite der Norm nicht beachtet. Sie gehe unzutreffend davon aus, dass die Vorschrift sie auch dazu ermächtigt, eine Rückmeldung von den Polizeibeamten zu verlangen, die die Klägerin antreffen. Die Vorschrift stelle keine Rechtsgrundlage für die Erstellung eines Bewegungsprofils dar, sondern solle nur die eine Kontrolle durchführenden Beamten sensibilisieren.

Gegen die Urteile kann die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht beantragt werden.

Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 06.09.2023, 10 A 5471/21 und 10 A 602/22, nicht rechtskräftig

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