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Strafverfahren: Wiederaufnahme auch nach fast 40 Jahren zulässig

22.04.2022

Liegen neue Beweismittel vor, so kann ein Strafverfahren wegen Tötung eines Menschen auch dann wiederaufgenommen werden, wenn der nun wieder Verdächtige rechtskräftig freigesprochen worden war. In dem Strafverfahren wegen der Tötung der 17-jährigen Frederike von Möhlmann hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle die Beschwerden des früheren Angeklagten gegen einen Beschluss des Landgerichts (LG) Verden zurückgewiesen, mit dem dieses den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und Untersuchungshaft angeordnet hatte.

Der frühere Angeklagte wird verdächtigt, Frederike von Möhlmann 1981 vergewaltigt und getötet zu haben. Von diesem Vorwurf hatte ihn das LG Stade 1983 rechtskräftig freigesprochen. Nach einem erst 2012 erstellten molekulargenetischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen soll der frühere Angeklagte aber als Verursacher einer Spermaspur am Slip der Getöteten in Betracht kommen. Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs konnte dieses neue Beweismittel zunächst nicht zu Lasten des früheren Angeklagten berücksichtigt werden. § 362 der Strafprozessordnung (StPO) bestimmte, dass ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren nur dann zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden konnte, wenn das frühere Verfahren unter bestimmten schweren Mängeln litt oder ein freigesprochener Angeklagter die Tat zwischenzeitlich gestanden hatte.

2021 wurden diese Wiederaufnahmemöglichkeiten durch den Gesetzgeber erweitert. Nach dem neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO kommt eine Wiederaufnahme jetzt auch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln in Betracht, nach denen eine Verurteilung wegen Mordes oder anderer unverjährbarer schwerster Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Neuregelung war sowohl rechtspolitischen als auch verfassungsrechtlichen Angriffen ausgesetzt.

Das OLG Celle hat die Beschwerden gegen die Entscheidung des LG Verden zurückgewiesen. Es hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie verstoße insbesondere nicht gegen das in Artikel 103 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung. Sie gelte nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden für eine Wiederaufnahme vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für derartige Ausnahmefälle trotz eines vorangegangenen Freispruchs eine schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen, sei vertretbar und durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt. Auch das im Grundgesetz verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot hält das OLG nicht für verletzt.

In dem konkreten Fall bestünden unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden DNA-Gutachtens dringende Gründe für eine Verurteilung wegen Mordes. Damit lägen die Voraussetzungen des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO vor. Das OLG hat daher auch die vom LG Verden angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten. Beim Beschwerdeführer liege der besondere Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Absatz 3 StPO vor.

Der Beschluss könne nicht mit einem strafprozessualen Rechtsmittel angegriffen werden, unterstreicht das OLG. Eine mögliche Verfassungsbeschwerde des früheren Angeklagten hätte vorbehaltlich einer abweichenden Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht keine aufschiebende Wirkung.

In Konsequenz der Entscheidung des OLG habe das LG Verden in einem nächsten Schritt abschließend über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Denn da der frühere Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt noch keine ausreichende Gelegenheit gehabt habe, hierzu Stellung zu nehmen, habe das LG zunächst nur summarisch geprüft, ob das jetzt vorliegende DNA-Gutachten dringende Gründe für die Verurteilung wegen Mordes bietet. Für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens ist laut OLG eine erneute Hauptverhandlung durchzuführen. Diese diene der Klärung, ob die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Für den früheren Angeklagten gelte bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 20.04.2022, 2 Ws 62/22

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