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Reiserücktrittsversicherung: Muss zahlen, wenn sich Schürfwunde nach Versicherungsabschluss zu Geschwür ausweitet
Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Wunde anschließend infiziert und ein Geschwür hervorruft. Das stellt das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein klar.
Ein Familienvater hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte seine Frau von einer Leiter und zog sich hierbei eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine "Jahres-Reise-Karte", die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart.
Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Buchenden sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem sich die Wunde am Knöchel im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Ehemann stornierte sodann die Reise. Die ihm berechneten Stornokosten hat er bei der Reiserücktrittsversicherung geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Die Ehefrau sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
Das OLG hat die behandelnden Ärzte zur Frage der Behandlung der Ehefrau vor Vertragsschluss als Zeugen vernommen und die Versicherung sodann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt. Es hat eine Kenntnis der Ehefrau vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss verneint. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer "bloßen" sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert aus Sicht des OLG nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpften die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung an, meint dagegen das OLG. Selbst wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.03.2024, 16 U 74/23