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Pflegedienst-Betreiber: Strengere Vorgaben nach Straffälligkeit sind rechtens

27.04.2022

Liegen erhebliche Anhaltspunkte (hier: strafrechtliche Verurteilung wegen Abrechnungsbetrugs) dafür vor, dass Pflegesachleistungen auch in anderen Fällen nicht korrekt abgerechnet wurden, reicht es zur Begründung geltend gemachter Vergütungsansprüche nicht aus, wie sonst üblich lediglich monatliche Abrechnungen unter Beifügung von Durchführungskontrollblättern vorzulegen. Der Leistungserbringer hat vielmehr das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen voll zu beweisen, weil das (hier nachhaltig erschütterte) Vertrauen in die Richtigkeit der Angaben ein wesentliches Fundament des Abrechnungssystems für die Pflegesachleistungen ist. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden.

Der Kläger ist ausgebildeter Krankenpfleger sowie Inhaber und Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes. Dieser umfasst häusliche Krankenpflege sowie ambulante Pflege an Privatzahler. Der Kläger erbrachte aufgrund eines mit den Landesverbänden der Pflegekassen geschlossenen Versorgungsvertrags darüber hinaus auch ambulante Pflegedienstleistungen für in der sozialen Pflegeversicherung Versicherte, die zu Hause, in so genannten Wohngemeinschaften oder in so genannten Pflegefamilien lebten. Zudem war er auch gesetzlicher Betreuer von Pflegebedürftigen.

Im April 2010 ging bei der beklagten Pflegekasse eine telefonische Beschwerde durch den behandelnden Logopäden eines ihrer Versicherten über dessen Unterbringung und Versorgung in der von P betriebenen Wohngemeinschaft ein. P vermietete in einem ehemaligen Gasthaus Zimmer an Pflegebedürftige, die ihr der Kläger vermittelt hatte. Mit diesen Pflegebedürftigen vereinbarte der Kläger die Erbringung von Pflegeleistungen durch seinen Pflegedienst. Die Pflegeleistungen wurden durch Angehörige der P ausgeführt, die jeweils keine fachspezifischen Kenntnisse hatten und vom Kläger zum Schein angestellt wurden. Diese rechnete er gegenüber der jeweiligen Pflegekasse ab.

Aufgrund der Beschwerde fand ein Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen verschiedener Hausbesuche eine verwahrloste Wohnung vor. Nach den Angaben des betroffenen Versicherten hat der Kläger in seiner Eigenschaft als Betreuer den bisherigen Pflegedienst gekündigt; jedoch seien dem Versicherten gegenüber keine grundpflegerischen Leistungen durch den Pflegedienst des Klägers erbracht worden.

Der MDK führte daraufhin beim Kläger eine anlassbezogene Qualitäts- und Rechnungsprüfung und entsprechende Hausbesuche durch. Im Bericht vom September 2010 führte er aus, dass in allen Stichprobenfällen die Leistungsabrechnungen nicht korrekt erfolgt seien. Bei einem Versicherten bestehe eine körperliche Verwahrlosung mit hieraus folgenden Pilz- und Hauterkrankungen; die Wohnung sei in einem erschreckenden Zustand gewesen. Insoweit bestehe der Verdacht auf gefährliche Pflege. Die vom Kläger als Pflegekraft eingesetzte Stieftochter der P, die nach eigenen Angaben "ehrenamtlich" – weil in Mutterschutz beziehungsweise Elternzeit – ohne Bezahlung tätig sei, sei im Dienstplan aufgeführt gewesen. Die Pflegedokumentationen seien in weiten Teilen lückenhaft.

Die Landesverbände der Pflegekassen kündigten daraufhin den Versorgungsvertrag mit K fristlos im Juli 2011 wegen gröblicher Verletzung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den Pflegebedürftigen und den Kostenträgern.

Mit Urteil vom November 2013 wurde der Kläger vom Amtsgericht Konstanz wegen Abrechnungsbetrugs gegenüber den Pflegekassen in 81 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, nachdem er im Rahmen einer Verständigung die Straftaten gestanden hatte.

Bereits im Juni 2012 hatte der Kläger beim Sozialgericht Konstanz mit dem Begehren Klage erhoben, die Beklagte zur Zahlung von zuletzt rund 56.000 Euro zu verurteilen. Er machte geltend, gegenüber zahlreichen Versicherten der Beklagten in den Jahren 2010 und 2011 ordnungsgemäß Pflegesachleistungen erbracht zu haben, die nicht vom Strafverfahren umfasst und auf Leistungsnachweisen dokumentiert seien. Die hierfür in Rechnung gestellte Vergütung habe die Beklagte rechtswidrig nicht gezahlt, obwohl der MDK insoweit nichts beanstandet habe. Patienten, Angehörige, Nachbarn oder auch Hausärzte könnten zusätzlich bezeugen, dass die Einsätze tatsächlich in vollem Umfang erfolgt seien.

Im September 2018 wies das Sozialgericht die Klage ab. Dem Kläger stehe kein Vergütungsanspruch zu, da durch seinen Pflegedienst zumindest Teile der Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht worden seien.

Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dieser weise zwar zu Recht darauf hin, dass er in dem vorliegenden Rechtsstreit keine Vergütungen für Pflegeleistungen geltend mache, die Gegenstand seiner strafrechtlichen Verurteilung wegen Betrugs waren. Aufgrund des über einen längeren Zeitraum praktizierten Abrechnungsverhaltens des Klägers mit gröblichen Pflichtverletzungen gegenüber den Pflegekassen sei das Vertrauensverhältnis mit der Beklagten aber massiv und nachhaltig erschüttert. Das Vertrauen in die Richtigkeit der Angaben des Leistungserbringers sei wesentliches Fundament des Abrechnungssystems für die Pflegesachleistungen. Das Fehlverhalten des Klägers bezüglich der vom Strafurteil umfassten Leistungsabrechnungen sei daher auch für Leistungen gegenüber anderen Versicherten der Beklagten bedeutend. Schließlich lasse auch die selbst nach der rechtskräftigen Verurteilung noch fortbestehende fehlende Unrechtseinsicht des Klägers (Bezeichnung des Geständnisses als "Nötigung") nicht darauf schließen, dass sich falsche Abrechnungen nur auf einzelne Versicherte oder einzelne Leistungen beschränkten. Da somit erhebliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Kläger Pflegesachleistungen auch bezüglich der im vorliegenden Verfahren betroffenen Versicherten nicht korrekt abgerechnet habe, sei es zur Begründung der in dem anhängigen Verfahren geltend gemachten Vergütungsansprüche nicht ausreichend, wie sonst vorgesehen lediglich monatliche Abrechnungen unter Beifügung der Durchführungskontrollblätter mit den entsprechenden Eintragungen vorzulegen. Der Kläger habe vielmehr den vollen Beweis für das Vorliegen der Tatsachen zu erbringen, also die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und diese zu belegen. Dies habe der Kläger hier aber nicht getan.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.03.2022, L 4 P 4005/18

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