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Persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderungen: Diskriminierung wegen des Alters?

28.02.2022

Die Frage, ob Menschen mit Behinderungen ein Wahlrecht hinsichtlich des Alters einer Persönlichen Assistenz haben oder ob dies eine Diskriminierung wegen des Alters impliziert, steht im Fokus eines Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Dieses hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung ersucht.

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Absatz 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Beklagte ist ein Assistenzdienst. Sie bietet Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen des Lebens (so genannte Persönliche Assistenz) an.

Assistenzleistungen nach § 78 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) werden für Menschen mit Behinderungen zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen. Assistenzleistungen, die oft von mehreren Personen in Schichten, teilweise rund um die Uhr, geleistet werden, können von einem Assistenz- oder Pflegedienst erbracht oder durch die leistungsberechtigte assistenznehmende Person – im so genannten Arbeitgebermodell – selbst organisiert werden. Die Kosten werden in beiden Fällen vom zuständigen öffentlich-rechtlichen Leistungs-/Kostenträger getragen.

Ausweislich eines von der Beklagten veröffentlichten Stellenangebots suchte eine 28-jährige Studentin "weibliche Assistentinnen" in allen Lebensbereichen des Alltags, die "am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein" sollten. Die im März 1968 geborene Klägerin bewarb sich ohne Erfolg auf diese Stellenausschreibung.

Mit ihrer Klage hat sie die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen. Sie meint, die Beklagte habe sie im Bewerbungsverfahren entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihres Alters benachteiligt und sei ihr deshalb nach § 15 Absatz 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter "zwischen 18 und 30" Jahren gerichtete Stellenausschreibung der Beklagten begründe die Vermutung, dass sie, die Klägerin bei der Stellenbesetzung wegen ihres – höheren – Alters nicht berücksichtigt und damit wegen ihres Alters diskriminiert worden sei. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei bei Leistungen der Assistenz nach § 78 SGB IX unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach dem AGG gerechtfertigt. Bei der Beurteilung einer etwaigen Rechtfertigung seien nicht nur die Bestimmungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sondern auch zu berücksichtigen, dass die eine persönliche Assistenz in Anspruch nehmenden Leistungsberechtigten nach § 8 Absatz 1 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht auch im Hinblick auf das Alter der Assistenten hätten. Nur so sei eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage vollständig abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Da die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt, ob die durch die Stellenausschreibung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach den Bestimmungen des AGG gerechtfertigt ist und sich im Hinblick auf die Auslegung dieser Bestimmungen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG Fragen der Auslegung von Unionsrecht stellen, hat das BAG den EuGH angerufen. Er möge entscheiden, ob Artikel 4 Absatz 1, 6 Absatz 1, 7 und/oder Artikel 2 Absatz 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie im Licht von Artikel 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – dahin ausgelegt werden können, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.02.2022, 8 AZR 208/21 (A)

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