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Pauschalreisen: Zum Rücktritt wegen Covid 19

31.08.2022

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in drei Verfahren über Ansprüche auf Rückzahlung des Reisepreises nach Rücktritt von Pauschalreiseverträgen wegen Covid 19 entschieden. Die Verfahren, in denen die jeweilige Klagepartei die jeweilige Beklagte auf Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise in Anspruch nimmt, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten ist, gingen jeweils unterschiedlich aus.

Im Verfahren X ZR 66/21 buchte die Klägerin im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.06.2020 für 1.599,84 Euro. Sie trat am 07.06.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Beklagte berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 Euro (85 Prozent des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Klägerin bezahlte diesen Betrag nicht. Die Kreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.

Im Verfahren X ZR 84/21 buchte der Kläger im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 05. bis 17.07.2020 für 3.541 Euro. Er trat am 03.06.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 886 Euro (25 Prozent des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des Klägers um weitere 177 Euro. Das vom Kläger gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen.

Im Verfahren X ZR 3/22 buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.08.2020 für 8.305,10 Euro. Er trat am 31.03.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10.07.2020 abgesagt.

Die Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg.

Im ersten Verfahren sind Amtsgericht (AG) und Landgericht (LG) zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hinreichend wahrscheinlich gewesen.

Im zweiten Verfahren hat das LG einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das vom Kläger gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kläger ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können.

Im dritten Verfahren haben die Vorinstanzen offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Absatz 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.

Vor dem BGH kam es in den drei Verfahren zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Die Begründetheit der Klagen hing laut BGH in allen drei Verfahren davon ab, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Absatz 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sehe das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch sei nach § 651h Absatz 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Absatz 3 BGB liege nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würde. Sie könne vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordere regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden.

Im ersten Verfahren blieb die Revision erfolglos. Nach Auffassung des BGH ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651h Absatz 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651h Absatz 3 BGB sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.

Das Berufungsgericht sei im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat der BGH als rechtsfehlerfrei bewertet.

Das LG habe eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Klägerin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Es habe dabei das Hygienekonzept der Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise habe es auch auf das Alter der Klägerin Bezug genommen. Dies sei jedenfalls dann möglich, so der BGH, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken hätten den Charakter der Reise verändert.

Im zweiten Verfahren führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LG. Zutreffend habe dieses angenommen, dass der Vortrag des Klägers zu der durch Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage in Europa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zuließen, weil daraus nicht hervorgehe, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.

Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Absatz 3 BGB ergebe sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht daraus, dass das vom Kläger gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar könne die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begründe aber nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Absatz 3 BGB. Ob eine solche Beeinträchtigung gegeben ist, sei aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen. Entgegen der Ansicht des LG sei eine solche Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung habe das LG im Streitfall unterlassen. Der BGH könne diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.

Das dritte Verfahren hat der BGH bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in dem dort anhängigen Verfahren C-477/22 (X ZR 53/21) ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Beantwortung der dem EuGH bereits vorliegenden Frage ab.

Bundesgerichtshof, Urteile vom 30.08.2022, X ZR 66/21 und X ZR 84/21 sowie Beschluss vom 30.08.2022, X ZR 3/22

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