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Kürzere Restnutzungsdauer eines Gebäudes: Kann durch Wertgutachten nachgewiesen werden

17.03.2022

Wird im Rahmen eines Wertgutachtens die Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach der Wertermittlungsverordnung bestimmt, kann diese der Berechnung des AfA-Satzes zugrunde gelegt werden. Dies hat das Finanzgericht (FG) Münster entschieden.

Der Kläger erwarb 2011 im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens ein Grundstück mit einem im Jahr 1955 errichteten Gebäude, das er seitdem zur Erzielung von Mieteinkünften nutzte. Das Amtsgericht hatte im Zwangsversteigerungsverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Grundstückswerts auf den Stichtag 17.05.2010 in Auftrag gegeben. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige machte in seinem Gutachten unter anderem Angaben zum Modernisierungsstand und zu erforderlichen Instandsetzungsarbeiten Angaben und kam danach zu einem fiktiven Baujahr von 1960 und zu einer Restnutzungsdauer des Gebäudes von 30 Jahren. Dem Gutachten legte er die Regelungen der zum Stichtag gültigen Wertermittlungsverordnung (WertV) zugrunde.

Der Kläger machte in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2012 bis 2016 eine jährliche Abschreibung für Abnutzung (AfA) des Gebäudes von 3,33 Prozent als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das Finanzamt berücksichtigte demgegenüber lediglich einen AfA-Satz von zwei Prozent, da das Gutachten weder eine kürzere technische Nutzungsdauer durch Darlegung eines materiellen Verschleißes der Rohbauelemente noch eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer im steuerrechtlichen Sinne belege. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Sinne der WertV sei auf die steuerrechtliche Restnutzungsdauer nicht übertragbar, da sie nicht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Typisierung der AfA-Regelung stehe.

Das FG Münster hat der Klage in Bezug auf den AfA-Satz stattgegeben. Grundsätzlich sei ein Gebäude zwar nach festen AfA-Sätzen (im Streitfall zwei Prozent pro Jahr) abzuschreiben. Bei einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer des Gebäudes als 50 Jahre könne aber nach Wahl des Steuerpflichtigen von entsprechend höheren Sätzen ausgegangen werden. Nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 28.07.2021, IX R 25/19) könne sich der Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheine. Entgegen der Auffassung des Finanzamts sei hierfür kein Bausubstanzgutachten erforderlich. Da für die Schätzung einer kürzeren Restnutzungsdauer keine Gewissheit, sondern allenfalls eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit erforderlich sei, könne die Schätzung des Steuerpflichtigen vielmehr nur dann verworfen werden, wenn sie eindeutig außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liege.

Nach Auffassung des FG hat der Sachverständige aufgrund sachlicher Kriterien eine von der gesetzlichen Typisierung abweichende geringere Restnutzungsdauer von 30 Jahren ermittelt. Er habe fundierte Ausführungen zu den erforderlichen Instandsetzungsarbeiten und zum Zustand des Gebäudes gemacht. Die modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer von 30 Jahren anhand der WertV sei für das Gericht nachvollziehbar und liege jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.

Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.01.2022, 1 K 1741/18 E, rechtskräftig

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