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Kohls Witwe: Kann Auskunft über Verbleib der Vervielfältigungen der Tonbänder verlangen

08.09.2020

Der Journalist Heribert Schwan muss der Erbin des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl Auskunft über die Existenz und den Verbleib der Vervielfältigungen von Tonbandaufzeichnungen erteilen. Einem darüberhinausgehenden Auskunftsanspruch Maike Kohl-Richters hinsichtlich weiterer Unterlagen steht laut Bundesgerichtshof (BGH) die Verjährung entgegen.

Helmut Kohl und der beklagte Journalist hatten 1999 mit einem Verlag jeweils selbstständige, inhaltlich aber aufeinander abgestimmte Verträge geschlossen, in denen es um die Erstellung der Memoiren des Altkanzlers ging. Der Beklagte sollte das Werk schreiben. Kohl und der Beklagte, die die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit unmittelbar miteinander besprechen sollten, trafen sich 2001 und 2002 an über 100 Tagen zu Gesprächen, die insgesamt etwa 630 Stunden dauerten und mit einem Tonbandgerät aufgenommen wurden. Kohl sprach dabei ausführlich über sein gesamtes Leben. Die Tonbänder, die er persönlich zu keinem Zeitpunkt in den Händen hatte, nahm der Beklagte zur Vorbereitung der geplanten Buchveröffentlichung jeweils mit nach Hause. Von den Aufnahmen fertigte er Kopien an und ließ Abschriften anfertigen. Außerdem gewährte beziehungsweise ermöglichte Kohl dem Beklagten Zugang zu zahlreichen Unterlagen.

Später überwarfen sich die Parteien. Kohl kündigte die Zusammenarbeit mit dem Beklagten und bat diesen unter anderem mit Anwaltsschreiben vom 18.03.2010 um Prüfung und Weiterleitung einzeln aufgeführter Akten sowie weiterer Unterlagen, die noch nicht als fehlend aufgefallen seien, aber sich noch im Bestand des Beklagten befänden. Hierauf antwortete der Beklagte am 30.03.2010, die in dem Schreiben aufgeführten Akten befänden sich nicht in seinem Besitz. Einst in Kohls Büro gefertigte Kopien könnten nicht zurückgegeben werden, da sie unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet und ausgewertet worden seien. Ende 2014 erklärte der Beklagte in einer Fernsehsendung, Kopien der Tonbänder angefertigt zu haben, die "in deutschen Landen und auch im Ausland" verstreut seien und an die "man nicht so schnell drankommen" werde.

In einem früheren Verfahren machte Kohl erfolgreich die Herausgabe der Originaltonbänder geltend. Im vorliegenden Verfahren, das seine Erbin nach seinem Tod fortgeführt hat, verlangt diese im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über Existenz und Verbleib schriftlicher, digitaler und sonstiger Vervielfältigungen der Tonbänder sowie über weitere Unterlagen, die der Beklagte aus der Zusammenarbeit im Rahmen der Erstellung der Memoiren besitzt oder weitergegeben hat.

Das Landgericht hat der Klage bezüglich der schriftlichen, digitalen und sonstigen Vervielfältigungen der Tonbänder stattgegeben und sie hinsichtlich der weiteren Unterlagen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht (OLG) sie auch im Hinblick auf schriftliche Vervielfältigungsstücke des Tonbandinhalts mit der Begründung abgewiesen, diese Ansprüche seien verjährt. Die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über die digitalen und sonstigen Vervielfältigungen hat es bestätigt.

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Zutreffend seien die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Beklagte aufgrund eines zwischen ihm und dem Erblasser bestehenden Rechtsverhältnisses verpflichtet gewesen sei, das durch die Zusammenarbeit mit dem Erblasser Erlangte an diesen herauszugeben (§ 667 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB), auf Verlangen Auskunft über den Stand des Geschäfts zu geben und über die Ausführung Rechenschaft abzulegen (§ 666 BGB). Der für ein solches Verhältnis erforderliche Rechtsbindungswille sei insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des OLG habe der Erblasser gegenüber dem Beklagten nur dann seine persönlichen Erinnerungen, Informationen, Einschätzungen und unter Umständen auch Gefühle preisgeben können, wenn sichergestellt war, dass er gleichwohl nicht nur "Herr über das überlassene Material", sondern auch "Herr über seine Erinnerungen" bleiben konnte. Dies habe das OLG rechtsfehlerfrei als ein erhebliches rechtliches Interesse gewertet. Die Wirkungen dieses Rechtsverhältnisses richten sich laut BGH nach Auftragsrecht.

Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, insbesondere aus seiner Stellung als Historiker und Journalist sowie dem Umfang und der Eigenständigkeit seiner Tätigkeit ergebe sich, dass er habe berechtigt sein sollen, die Unterlagen für die Abfassung eigener Werke – jedenfalls bei Wahrung eines hinreichenden zeitlichen Abstands – zu nutzen, habe das OLG rechtsfehlerfrei ausgeführt, jedenfalls aufgrund der vorzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit über die Memoiren sei einer etwaigen Zustimmung des Erblassers zu einer Veröffentlichung durch den Beklagten die Grundlage entzogen worden.

Der daraus folgende Anspruch gemäß § 666 Fall 3 BGB auf Erteilung der geltend gemachten Auskünfte sei allerdings infolge der Mitteilung des Beklagten vom 30.03.2010 durch Erfüllung erloschen. Ein Auskunftsanspruch sei erfüllt, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Die Mitteilung des Beklagten sei vor dem Hintergrund der vorangegangenen Korrespondenz in dem Sinn zu verstehen, dass er abschließend erklärte, über keine herausgabepflichtigen Gegenstände mehr zu verfügen.

Da diese Erklärung jedoch schuldhaft falsch war, habe die Klägerin nunmehr einen Anspruch auf Schadenersatz (§ 280 Absatz 1 Satz 1 BGB), der darauf gerichtet sei, so gestellt zu werden, wie sie bei richtiger Auskunft stünde. Der Schaden könne dabei insbesondere darin liegen, dass aufgrund der falschen Auskunft ein Anspruch nicht geltend gemacht worden ist. Dies sei hier der Anspruch auf Herausgabe der Vervielfältigungen der Tonbänder und der weiteren Unterlagen.

Da die Klägerin im Unklaren über Inhalt und Umfang ihres Schadenersatzanspruchs ist, stehe ihr zu dessen Durchsetzung aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ein ergänzender Auskunftsanspruch zu. Jedenfalls bei einer schweren, insbesondere vorsätzlichen Pflichtverletzung sei es gerechtfertigt, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner Schadenersatzansprüche einen hierauf bezogenen ergänzenden Auskunftsanspruch zu gewähren. Die nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen lassen laut BGH allein den Schluss darauf zu, dass der Beklagte mit seiner Erklärung, über keine Gegenstände zu verfügen, die an den Erblasser herauszugeben seien, diesen vorsätzlich in die Irre führte. Darüber hinaus habe aufgrund der Erklärung des Beklagten Ende 2014, die Kopien der Tonbänder seien "in deutschen Landen und auch im Ausland" verstreut und man werde "nicht so schnell drankommen", die begründete Befürchtung bestanden, der Beklagte habe die Durchsetzung von Herausgabeansprüchen des Erblassers gezielt vereiteln wollen.

Der Anspruch sei allerdings verjährt, soweit die Klägerin Auskunft über die weiteren Unterlagen begehrt. Das OLG habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass Kohl bereits Ende 2012 vor Augen gestanden habe, dass der Beklagte möglicherweise noch über Unterlagen verfügte. Der Erblasser habe also zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Kenntnisse, um eine Auskunfts- und Schadenersatzklage erheben zu können, sodass die dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss dieses Jahres zu laufen begonnen habe. Eine solche Klage habe der Erblasser jedoch erst 2016 erhoben.

Demgegenüber sei die Verjährung hinsichtlich der Vervielfältigungen der Tonbänder durch die 2014 – und damit rechtzeitig – erhobene Klage gehemmt worden. Dies gelte entgegen der Ansicht des OLG auch für die schriftlichen Vervielfältigungen, so der BGH. Zwar habe der Erblasser von deren Anfertigung gewusst. Aufgrund der Erklärung des Beklagten vom 30.03.2010 habe er jedoch ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausgehen können, dass sie nicht mehr existierten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.09.2020, III ZR 136/18

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