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Kein Zutritt zu Open-Air-Event: 44-Jähriger nicht wegen Altersdiskriminierung zu entschädigen

10.05.2021

Ein 44-Jähriger, dem der Zutritt zu einer Musikveranstaltung wegen seines Alters untersagt worden war, hat deswegen keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Der Anwendungsbereich des Gesetzes sei nicht eröffnet.

Der Kläger wollte ein von der Beklagten veranstaltetes Open-Air-Event besuchen, bei dem DJs elektronische Musik auflegten. Die Veranstaltung hatte eine Kapazität von maximal 1.500 Personen, ein Vorverkauf fand nicht statt. Ein Ticket konnte erst nach Passieren der Einlasskontrolle erworben werden. Dem Kläger sowie seinen beiden damals 36 und 46 Jahre alten Begleitern wurde der Einlass verwehrt.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit, Zielgruppe der Veranstaltung seien Personen zwischen 18 und 28 Jahren gewesen. Aufgrund der beschränkten Kapazität und um den wirtschaftlichen Erfolg einer homogen in sich feiernden Gruppe nicht negativ zu beeinflussen, habe es die Anweisung gegeben, dem optischen Eindruck nach altersmäßig nicht zur Zielgruppe passende Personen abzuweisen.

Der Kläger sieht in der Verweigerung des Zutritts eine Benachteiligung wegen des Alters. Ihm stehe daher ein Entschädigungsanspruch gemäß § 19 Absatz 1, § 21 Absatz 2 AGG zu. Er hat von der Beklagten 1.000 Euro sowie den Ersatz der Kosten eines vorangegangenen Schlichtungsverfahrens in Höhe von 142,80 Euro, jeweils nebst Zinsen, verlangt.

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Der BGH führt aus, der sachliche Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG sei nicht eröffnet.

Der Vertrag über den Zutritt zu der hier betroffenen Veranstaltung sei kein "Massengeschäft" im Sinne von § 19 Absatz 1 Nr. 1 Fall 1 AGG. Hierunter seien zivilrechtliche Schuldverhältnisse zu verstehen, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Das sei der Fall, wenn der Anbieter im Rahmen seiner Kapazitäten grundsätzlich mit jedermann abzuschließen bereit ist. Hingegen liege ein Ansehen der Person vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach Würdigung des Vertragspartners trifft. Ob persönliche Merkmale typischerweise eine Rolle spielen, bestimme sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise, bei der auf die für vergleichbare Schuldverhältnisse herausgebildete Verkehrssitte abzustellen ist.

Eine Verkehrssitte, dass zu öffentlichen Veranstaltungen, die mit dem hier betroffenen Schuldverhältnis vergleichbar sind, jedermann Eintritt erhält, habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Soweit öffentlich zugängliche Konzerte, Kinovorstellungen, Theater- oder Sportveranstaltungen im Regelfall dem sachlichen Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG unterfallen, weil es der Verkehrssitte entspricht, dass dort der Eintritt ohne Ansehen der Person gewährt wird, sei für diese Freizeitangebote charakteristisch, dass es den Veranstaltern – meist dokumentiert durch einen Vorverkauf – nicht wichtig ist, wer ihre Leistung entgegennimmt. Das unterscheide sie maßgeblich von Party-Event-Veranstaltungen wie der vorliegenden, deren Charakter in der Regel auch durch die Interaktion der Besucher geprägt wird, weshalb der Zusammensetzung des Besucherkreises Bedeutung zukommen kann. Dass auch bei solchen Veranstaltungen gleichwohl nach der Verkehrssitte jedermann Eintritt gewährt wird, mache der Kläger nicht geltend.

Der Vertrag über den Zutritt zu der von der Beklagten durchgeführten Veranstaltung sei auch kein "massengeschäftsähnliches" Schuldverhältnis im Sinne von § 19 Absatz 1 Nr. 1 Fall 2 AGG gewesen. Diese Rechtsverhältnisse kennzeichne, dass persönliche Eigenschaften des Vertragspartners zwar bei der Entscheidung, mit wem der Vertrag geschlossen werden soll, relevant sind, sie aber angesichts der Vielzahl der abzuschließenden Rechtsgeschäfte an Bedeutung verlieren, weil der Anbieter, von atypischen Fällen abgesehen, bereit ist, mit jedem geeigneten Partner zu vergleichbaren Konditionen abzuschließen. In welchem Umfang ein Ansehen einer Person relevant ist, bestimmt sich laut BGH nach der Art des zu betrachtenden Schuldverhältnisses in seiner konkreten Ausprägung.

Bei Schuldverhältnissen wie öffentlichen Party-Event-Veranstaltungen könne die Zusammensetzung des Besucherkreises deren Charakter prägen und daher ein anerkennenswertes Interesse des Unternehmers bestehen, hierauf Einfluss zu nehmen. Soweit der Veranstalter deshalb sein Angebot nur an eine bestimmte, nach persönlichen Merkmalen definierte Zielgruppe richtet und nur Personen als Vertragspartner akzeptiert, die die persönlichen Merkmale der Zielgruppe erfüllen, komme diesen Eigenschaften nicht nur nachrangige Bedeutung zu. Diese Willensentscheidung sei hinzunehmen; wenn dabei auch das Merkmal "Alter" betroffen ist, stehe dies nicht entgegen.

Eine solche Fallgestaltung habe bei der hier zu beurteilenden Veranstaltung vorgelegen. Ein Ansehen der Person habe hiernach für die Gewährung des Zutritts nicht nur nachrangige Bedeutung gehabt. Vielmehr sei eine individuelle Auswahl der Vertragspartner nach dem Veranstaltungskonzept der Beklagten von vornherein vorgesehen gewesen, durchgeführt und durch die Einlasskontrolle sichergestellt worden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.05.2021, VII ZR 78/20

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