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Jugendamtsmitarbeiter: OLG Hamm klärt Garantenstellung

10.11.2020

Ein Jugendamtsmitarbeiter ist nicht erst dann zum Handeln verpflichtet, wenn er von einer konkret eingetretenen akuten Gefährdung des Kindeswohls tatsächlich Kenntnis nimmt. Vielmehr muss er auch für eine pflichtwidrig herbeigeführte Unkenntnis von einer solchen Gefährdung einstehen. Dies stellt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm klar. Anderenfalls wäre nämlich gerade derjenige Jugendamtsmitarbeiter, der alle an ihn herangetragenen Warnzeichen einer Kindeswohlgefährdung in einer von ihm betreuten Familie ignoriert und keinem Hinweis nachgeht, am umfassendsten vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt.

Die angeklagte Jugendamtsmitarbeiterin betreute seit August 2013 eine alleinerziehende Mutter und deren neun Kinder. Aufgrund der Mitteilung eines anderen Jugendamtes war der Angeklagten bekannt, dass insbesondere ein Anfang 2012 geborener Junge und ein im Frühling 2013 geborenes Mädchen in ihrem Kindeswohl gefährdet sein könnten. Dennoch blieb sie untätig, weshalb sie nicht erkannte, dass beide Kinder nicht ausreichend ernährt und mit Flüssigkeit versorgt wurden. Das Mädchen konnte durch eine intensivmedizinische Behandlung gerettet werden, nachdem die Mutter sie in einer Notfallpraxis Anfang 2014 vorgestellt hatte. Der Junge dagegen verstarb, was auf seinen desolaten Versorgungszustand zurückzuführen gewesen war.

Das Amtsgericht Medebach hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Mit ihren Berufungen gegen dieses Urteil hat die Angeklagte ihren Freispruch, da sie nach den fachlichen Standards der Jugendhilfe gehandelt haben will, und die Staatsanwaltschaft die Verurteilung zu einer höheren Freiheitsstrafe verlangt.

Das Landgericht Arnsberg hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Auf die Berufung der Angeklagten hat es sie wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 3.500 Euro verurteilt. Während die Angeklagte ihre Garantenpflicht – also ihre Verpflichtung, dafür einzustehen, dass der Tod des Jungen nicht eintritt – gegenüber diesem fahrlässig verletzt und ihr mögliche Maßnahmen zur Verhinderung von dessen Hungertod unterlassen habe, sei die Unterernährung des Mädchens für die Angeklagte nicht zu erkennen gewesen.

Die Revision der Angeklagten gegen dieses Urteil hatte keinen Erfolg. Die Angeklagte habe – so das OLG Hamm –bezüglich des verstorbenen Jungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten keine Gefährdungseinschätzung vorgenommen, obwohl dies unter anderem aufgrund der Mitteilung von Auffälligkeiten durch ein anderes Jugendamt und weiterer ihr bekannter Umstände geboten, möglich und ihr zumutbar gewesen wäre. Danach hätte sich die Angeklagte zeitnah nach Übernahme des Falls einen persönlichen Eindruck verschaffen oder bei einer Weigerung der Mutter das Familiengericht anrufen müssen.

Der körperliche Zustand des Jungen sei ab August 2013 bis zu seinem Tod bereits so reduziert gewesen, dass seine Unterversorgung und die daraus folgenden Verhaltensauffälligkeiten bei nicht nur ganz oberflächlicher Betrachtung des Kindes ins Auge gesprungen wären, betont das OLG. Aufgrund ihrer Untätigkeit sei der Angeklagten der sich über mindestens drei Monate andauernde Zustand des Verhungerns des Kindes pflichtwidrig verborgen geblieben, sodass sie das bei Kenntnis von der Situation Erforderliche nicht habe veranlassen können.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 22.10.2020, III-5 RVs 83/20, unanfechtbar

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