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Grünes Licht für Erwerbsminderungsrente: Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel aufgrund Stuhlinkontinenz unzumutbar

04.03.2021

Leidet Versicherter wegen chronischer Darmerkrankung unter häufigen und unkontrollierbaren Darmentleerungen, die es erforderlich machen, sich stets in der Nähe einer Toilette aufzuhalten, kann er nicht auf die Verwendung öffentlicher Nahverkehrsmittel verwiesen werden. Dies stellt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg klar.

Die Klägerin war zuletzt von Juni 2010 bis März 2014 versicherungspflichtig in der Altenpflege tätig. Anschließend bezog sie bis Ende 2016 Arbeitslosen- und Krankengeld. Seit November 2019 übt sie eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung bis zu sechs Stunden pro Woche in der häuslichen Altenpflege aus. Um die zu pflegende Person aufzusuchen, wird die Klägerin, die keinen Führerschein besitzt, von ihrem berufstätigen Ehemann mit dem Auto gefahren. Jedenfalls seit Oktober 2016 leidet sie unter einer aktiven Morbus-Crohn-Erkrankung mit mindestens zehn Durchfällen pro Tag sowie plötzlicher und unvorhersehbarer Dranginkontinenz.

Im Juni 2017 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Sie machte geltend, bei Verlassen des Hauses müsse sie sich aufgrund ihrer blutigen Durchfälle immer vergewissern, wo sie unterwegs eine Toilette aufsuchen könne. So habe sie zum Beispiel die Erlaubnis, im Supermarkt auf die Personaltoilette gehen zu können. Der Rentenversicherungsträger lehnte den Antrag ab, weil der Klägerin kürzere Fahrstrecken in öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Toiletten möglich seien. Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG den Rentenversicherungsträger zur Gewährung einer befristeten Erwerbsminderungsrente verurteilt. Denn es sei der Klägerin nicht zumutbar, eine Arbeitsstätte aufzusuchen. Angesichts der Notwendigkeit, jederzeit eine Toilette zu benutzen, könne sie nicht auf öffentliche Nahverkehrsmittel verwiesen werden. Diese hätten entweder gar keine Toiletten (wie etwa Busse und U-Bahnen) oder (wie etwa Regionalverkehrszüge) Toiletten in nicht quantitativ ausreichender und funktionell zuverlässiger Weise. Anders als womöglich bei Harninkontinenz könne die Klägerin aufgrund ihrer Stuhlinkontinenz nicht auf die Nutzung von Einlagen verwiesen werden. Dies gelte umso mehr, als sie sich nicht etwa auf dem Weg nach Hause mit der Möglichkeit anschließender Hygienemaßnahmen, sondern auf dem Weg zur Arbeitsstätte befinde.

Die Erwerbsminderungsrente sei schließlich zu befristen gewesen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Klägerin durch die Optimierung der laufenden Therapie zukünftig wieder die erforderlichen Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen könne.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig; der unterlegene Rentenversicherungsträger kann hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht einlegen.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020, L 7 R 3817/19, nicht rechtskräftig

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