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Gendefekt eines Kindes: Kann Kindergeldanspruch über das 27. Lebensjahr hinaus begründen

10.07.2020

Für volljährige behinderte Kinder kann ein Kindergeldanspruch auch über die Altersgrenze von 27 Jahren (jetzt 25 Jahren) hinaus bestehen, wenn die Behinderung vor Erreichen der Altersgrenze eingetreten ist. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden hat, stellt ein Gendefekt aber nur dann eine solche Behinderung dar, wenn das Kind dadurch vor Erreichen der Altersgrenze in seinen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seiner seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom alterstypischen Zustand abweicht und dadurch in seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist.

Der Kläger ist der Vater einer 1968 geborenen Tochter, die an einer Muskelerkrankung in Form der Myotonen Dystrophie Curschmann Steinert leidet. Trotz erster Symptome im Alter von circa 15 Jahren wurde die Erkrankung zunächst nicht erkannt. Die Diagnose erfolgte erst 1998. In der Folgezeit verstärkte sich die Muskelschwäche und es wurde 2005 zunächst ein Grad der Behinderung von 50 und 2009 von 100 festgestellt. Die Tochter absolvierte eine Berufsausbildung und befand sich bis 2010 in einem Beschäftigungsverhältnis. Ab Oktober 2011 erhielt sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kläger beantragte 2014, ihm für seine Tochter ab Januar 2010 Kindergeld zu gewähren. Dies lehnte die Familienkasse unter Hinweis darauf ab, dass die Behinderung nicht vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage für die Monate statt, in denen die der Tochter zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfes ausreichten.

Dagegen hielt der BFH die Revision der Familienkasse für begründet. Da für die Tochter aufgrund einer Übergangsregelung noch nicht die ab 2000 auf das 25. Lebensjahr abgesenkte Altersgrenze gilt, setze der Kindergeldanspruch des Klägers voraus, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Der Behinderungsbegriff erfordere dabei eine für das Lebensalter untypische gesundheitliche Situation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt. Nicht ausreichend sei es dagegen, wenn vor Erreichen der Altersgrenze eine Behinderung zwar droht, aber noch nicht eingetreten ist. Der BFH hielt daher die bisherigen Feststellungen des FG für nicht ausreichend.

Dieses sei zwar auf der Grundlage des festgestellten Grades der Behinderung für die streitigen Monate ab 2011 zu Recht vom Vorliegen einer Behinderung ausgegangen. Für die Frage, ob die Behinderung bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres –also bis August 1995-- eingetreten ist, habe das FG aber zu Unrecht bereits den festgestellten angeborenen Gendefekt ausreichen lassen. Dem FG gab der BFH daher für den zweiten Rechtsgang auf, nähere Feststellungen dazu zu treffen, ob der Gendefekt bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen bei der Tochter des Klägers geführt hatte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.11.2019, III R 44/17

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