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Gemeinde: Darf Integrationsplätze in Kita nicht nur an «Gemeindekinder» vergeben
Eine Gemeinde darf ihre Integrationsplätze in einer Kindestagesstätte (Kita) nicht nur an solche Kinder vergeben, die in der Gemeinde wohnen. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Hannover entschieden und den Eilanträgen förderbedürftiger Zwillingsbrüder stattgegeben, die wegen Wegzugs in die Nachbargemeinde ihre bisherige Kita verlassen sollten, obwohl ihr aktueller Entwicklungsstand einem Einrichtungswechsel entgegenstand.
Bei den Antragstellern handelt es sich um viereinhalbjährige Zwillingsbrüder, die als Frühgeborene zur Welt gekommen und sowohl in motorisch-körperlicher als auch in geistig-seelischer Hinsicht erheblich entwicklungsverzögert sind. Die Kinder erhalten seit 2018 von der Region Hannover als Sozialhilfeträger eingliederungshilferechtliche Frühförderung. Seit 2019 belegen sie dafür zwei Integrationsplätze in einer Kindertagesstätte ihrer früheren Wohnsitzgemeinde, die im gerichtlichen Verfahren beigeladen war. Anfang 2019 zog die Familie der Antragsteller in eine Nachbargemeinde. Die Beigeladene meinte daher, dass eine weitere Betreuung der Antragsteller in ihrer Kita nicht möglich sei, weil ihre Benutzungssatzung eine Vergabe von Kita-Plätzen in ihren Einrichtungen nur für Kinder mit Wohnsitz in ihrem Gemeindegebiet vorsehe. Die Betreuung in dem im August 2020 beginnenden neuen Kita-Jahr lehnte sie daher ab und verwies die Antragsteller auf die Bereitstellung zweier Integrationsplätzen in einer Kita ihrer nunmehrigen Wohnsitzgemeinde.
Das VG hat dem dagegen von den Antragstellern gestellten Eilrechtsschutzantrag stattgegeben. Antragsgegnerin war die Region Hannover, die sowohl als örtlicher Jugendhilfeträger als auch als örtlicher Sozialhilfeträger für eine bedarfsgerechte Tagesbetreuung noch nicht schulpflichtiger Kinder rechtlich verantwortlich ist. Materiell richtet sich der geltend gemachte Anspruch aus Sicht des VG vorrangig nach § 79 Sozialgesetzbuch IX, da Maßnahmen der Frühförderung unabhängig von der Art der bei den betroffenen Kindern vorhandenen Beeinträchtigungen nach Landesrecht vorrangig dem Sozialhilferecht zugewiesen seien.
Das VG ist aufgrund der im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen und Entwicklungsberichte der derzeitigen Betreuungseinrichtung überzeugt, dass den Antragstellern in ihrem aktuellen Entwicklungsstand ein Einrichtungswechsel aus eingliederungsfachlichen Gründen nicht zumutbar ist. Aus den fachlichen Stellungnahmen ergebe sich ein besonderer Schwerpunkt der Förderung im sozio-emotionalen Bereich, da die Kinder eine ausgeprägte soziale Ängstlichkeit aufwiesen. Sie seien deshalb auf eine möglichst weitgehende personale und organisatorische Betreuungskontinuität zwingend angewiesen, um ihre schon während der zweimonatigen Schließung der bisherigen Einrichtung im Lockdown erkennbar eingetretenen erheblichen Entwicklungsrückschritte in diesem Bereich kompensieren und anschließend weitere Entwicklungsfortschritte erzielen zu können.
Ein Einrichtungswechsel, mit dem einherginge, dass die Antragsteller gleichzeitig mit einer ihnen unbekannten Umgebung, unbekannten Abläufen und Ritualen, unbekannten Kindern und unbekannten erwachsenen Betreuungspersonen konfrontiert seien, würde sich demgegenüber mit großer Wahrscheinlichkeit geradezu kontraproduktiv auf die Erreichung der mit der Frühförderung verfolgten sozio-emotionalen Entwicklungsziele auswirken und bereits erreichte Entwicklungsfortschritte zunichtemachen. Deshalb seien die für die Antragsteller in einer Kita ihrer jetzigen Wohnsitzgemeinde vorgehaltenen Plätze in einer Integrationsgruppe nicht bedarfsgerecht. Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen dürften sie nicht auf diese verweisen.
Dass die Beigeladene die Antragsteller trotz des vorhandenen fachlichen Bedarfs auf weitere Betreuung gerade in der bisher von ihnen besuchten Kita von der Platzverteilung für das kommende Kita-Jahr allein wegen des Wegzugs aus dem Gemeindegebiet ausgeschlossen habe, sei rechtswidrig gewesen. Der in der Benutzungssatzung der Beigeladenen geregelte Gemeindekindervorbehalt sei zumindest in Bezug auf die Belegung von Integrationsplätzen insoweit rechtswidrig, da er gegen das höherrangige Recht auf Zuweisung eines bedarfsgerechten Integrationsplatzes, der sich vorliegend wegen der Besonderheiten des Einzelfalls auf eine weitere Betreuung gerade in der bisher besuchten Einrichtung verdichtet habe, verstoße.
Derartige Plätze dürften von der Gemeinde als Einrichtungsträgerin zudem bereits dem Grunde nach nicht autonom, sondern nur im Benehmen mit der Region als örtlich zuständigem Sozialhilfeträger vergeben werden. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht werde insoweit von dem materiellen Leistungsrecht eingeschränkt. Die den Gemeinden für die Kindertagesbetreuung gesetzlich eröffnete Wahrnehmungsverantwortung erstrecke sich nicht auf die Vergabe von Integrationsplätzen. Denn sie beziehe sich nur auf die dahingehenden originär jugendhilferechtlichen Aufgaben. Da die Antragsgegnerin als örtlicher Sozialhilfeträger den Antragstellern gegenüber für die Gewährung der bedarfsgerechten Eingliederungshilfe rechtlich verantwortlich ist, stehe ihr ein Weisungsrecht gegenüber der Beigeladenen zu, um den bestehenden Anspruch auf Verschaffung der bedarfsgerechten Plätze auch erfüllen zu können.
Gegen die Entscheidung kann Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Niedersachsen eingelegt werden.
Verwaltungsgericht Hannover, 3 B 2818/20