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«Fiktive» Mängelbeseitigungskosten: Können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

15.03.2021

Ein kaufvertraglicher Anspruch auf Schadenersatz wegen Mängeln der erworbenen Immobilie kann weiterhin anhand der voraussichtlich entstehenden, aber bislang nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten berechnet werden. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Die Kläger erwarben vom Beklagten im Jahr 2014 für 79.800 Euro eine Eigentumswohnung unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Im Kaufvertrag heißt es: "Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31.12.2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben." Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit im Schlafzimmer der Kläger auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger vom Beklagten die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 7.972,68 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten; ferner soll festgestellt werden, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss.

Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des kaufvertraglichen Schadenersatzes statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 280, 281 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entspreche der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, so der BGH. Danach könne der Käufer im Rahmen des kleinen Schadenersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich ist, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird. Allerdings habe der VII. Zivilsenat des BGH für den werkvertraglichen Anspruch auf kleinen Schadenersatz gemäß §§ 634 Nr. 4, 280, 281 Absatz 1 BGB seine langjährige Rechtsprechung, nach der die Schadensbemessung anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zulässig war, inzwischen aufgegeben (Urteil vom 22.02.2018, VII ZR 46/17). Dies lasse sich auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung jedoch nicht übertragen, so der BGH. Insbesondere stehe dem Käufer – anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht – kein Vorschussanspruch zu. Es wäre aber nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsste. Eine Ausnahme gelte nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die – wie im Delikts- und Werkvertragsrecht – nur ersetzt werden müsse, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

Eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen Divergenz hält der BGH nicht mehr für erforderlich, nachdem der VII. Zivilsenat auf Anfrage des V. Zivilsenats vom 13.03.2020 (V ZR 33/19) die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung mit Beschluss vom 08.10.2020 (VII ARZ 1/20) im Hinblick auf die Verankerung im Werk- und Architektenvertragsrecht vertieft und ergänzt habe. Insbesondere sei klargestellt worden, dass ein zweckgebundener und abzurechnender Vorfinanzierungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Schadenersatzrecht hergeleitet werden kann.

Ebenso wenig bedürfe es einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung. Denn die von dem VII. Zivilsenat vorgenommene Bemessung des kleinen Schadenersatzes statt der Leistung sei angesichts der präzisierten und klarer konturierten werkvertraglichen Verankerung nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar. Beim Erwerb gebrauchter Immobilien seien die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter "leben" kann als mit der mangelfreien Immobilie, halte der VII. Zivilsenat die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig. Infolgedessen müssten in solchen Fällen – jedenfalls im Ergebnis – die noch nicht angefallenen Mängelbeseitigungskosten unabhängig von der Rechtsnatur des Vertrags ersetzt werden.

Die Einordnung des Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wirke sich künftig vornehmlich in denjenigen Fallgestaltungen aus, so der BGH, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. Gerade in solchen Fallkonstellationen gebe es für eine unterschiedliche Behandlung von Kauf- und Werkverträgen jedoch triftige Gründe, die bereits der VII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 08.10.2020 (VII ARZ 1/20) zutreffend aufgezeigt habe. Der Käufer müsste die Mängelbeseitigung vorfinanzieren, weil er – anders als der Besteller – keinen Vorschuss verlangen kann; das wäre unzumutbar. Zudem wirke das Kaufrecht einer unangemessenen Überkompensation des Käufers durch die Begrenzung des Nacherfüllungsanspruchs entgegen. Ist nämlich die Nacherfüllung nach den Vorgaben des § 439 Absatz 4 Satz 2 BGB als unverhältnismäßig anzusehen, könne der Käufer als Schadenersatz nur den mangelbedingten Minderwert verlangen. Im Werkvertragsrecht gebe es für eine solche Begrenzung des Schadenersatzanspruchs keine Entsprechung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.03.2021, V ZR 33/19

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