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Fernseh-Reporterin: Mit Verfassungsbeschwerde wegen Lohndiskriminierung erfolglos

20.07.2022

Eine Fernseh-Reporterin, die mit dem Ziel, so vergütet zu werden wie ihre männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit, nach Karlsruhe gezogen war, blieb dort mit ihrer Verfassungsbeschwerde erfolglos. Laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) genügte die Beschwerde nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen und konnte deswegen nicht zur Entscheidung angenommen werden.

Die Beschwerdeführerin war als Reporterin bei einem investigativen Politmagazin des ZDF tätig. Sie erhob vor den Arbeitsgerichten auf der ersten Stufe Klage auf Auskunft über den Verdienst männlicher Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit und auf der zweiten Stufe auf die gleiche Vergütung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

Danach trat das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (EntgTranspG) in Kraft. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) stützte die Beschwerdeführerin ihren Auskunftsanspruch hilfsweise auch auf dieses Gesetz, blieb aber erfolglos. Die Beschwerdeführerin habe keinen ersten Anschein für eine Benachteiligung dargelegt. Dazu genüge es nicht, darzulegen und zu beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Gehalt zahle als einem männlichen Kollegen und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichte. Ein Auskunftsanspruch folge auch nicht aus dem neuen § 10 EntgTranspG, weil die Beschwerdeführerin als arbeitnehmerähnliche Person nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes falle. Nur zu dieser Rechtsfrage ließ das LAG die Revision zu.

Auf die Revision der Beschwerdeführerin verurteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) das ZDF teilweise zur Erteilung der Auskunft. Es verwies den Rechtsstreit im Übrigen an das LAG zurück, weil das EntgTranspG auf die Beschwerdeführerin anwendbar sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das BAG als unzulässig und wies die dagegen gerichtete Anhörungsrüge als unbegründet zurück.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), weil das BAG die Sache nicht nach Artikel 267 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt hat. Zudem seien die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen nicht mit dem Grundrecht der Gleichheit von Frauen und Männern aus Artikel 23 Absatz 1 der Charta der Europäischen Union (GRCh) zu vereinbaren. Darüber hinaus sei sie in ihrem Recht auf Gleichberechtigung aus Artikel 3 Absatz 2 und 3 Satz 1 GG verletzt.

Das BVerfG entschied, die Verfassungsbeschwerde habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig sei. Sie genüge im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen. Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens lasse sich nicht zuverlässig überprüfen, ob die Beschwerdeführerin alle im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens eröffneten Möglichkeiten genutzt hat, um der Rechtsverletzung abzuhelfen. Eine solche Möglichkeit bestehe bereits dann, wenn es möglich erscheint, dass die Grundrechtsverletzung vor den Fachgerichten beseitigt wird.

Hier habe die Revision der Beschwerdeführerin zur Auskunft über das Vergleichsentgelt Erfolg gehabt. Erhält sie diese, könnte sie einen Zahlungsanspruch geltend machen, der jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich aussichtslos wäre. Das BAG habe klargestellt, dass ein die eigene Vergütung übersteigendes mitgeteiltes Vergleichsentgelt (Medianentgelt) die Vermutung begründe, es liege eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts vor. Das führe zu der Beweislastumkehr, deren Fehlen vor dem LAG die Beschwerdeführerin rügt. Laut BVerfG ist hier nicht erkennbar, dass dem andere Gründe entgegenstünden oder der Median im Fall der Beschwerdeführerin nach ihren Vorstellungen vom durchschnittlichen Gehalt der Vergleichspersonen abweichen würde.

Die Rüge lasse keine Verletzung von Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG durch die fehlende Vorlage an den EuGH erkennen. Denn das BAG habe keine Sachentscheidung getroffen. Es erschließe sich nicht, inwieweit die Vorlagepflicht gerade dadurch verletzt worden sein soll, dass die Revision als unzulässig verworfen wurde.

Die Rügen einer Verletzung von Artikel 3 Absatz 2 und 3 Satz 1 GG habe die Beschwerdeführerin nicht innerhalb der Monatsfrist hinreichend substantiiert.

Zur Rüge einer Verletzung von Artikel 23 Absatz 1 GRCh werde nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt, dass die Voraussetzungen für eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen anhand der Unionsgrundrechte vorlagen.

Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen seien grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich. Die Anwendung innerstaatlichen Rechts prüfe das BVerfG dagegen primär am Maßstab der Grundrechte des GG, auch wenn es der Durchführung des Unionsrechts dient. Dort, wo es den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume einräumt, ziele Unionsrecht regelmäßig nicht auf eine Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes, sondern lasse Grundrechtsvielfalt zu. Daher greife dann die Vermutung, dass das Schutzniveau der GRCh der EU durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist. Eine Ausnahme von dieser Vermutung sei nur in Betracht zu ziehen, wenn hierfür konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen.

Solche Anhaltspunkte seien hier nicht erkennbar, so das BVerfG. Insofern wäre darzulegen, ob in der Auslegung der jeweiligen Grundrechte der Charta und des GG ein ungleiches Schutzniveau erreicht wird. Dabei wäre darauf einzugehen, inwieweit Artikel 3 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 1 GG, der einen wirksamen Schutz vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts erforderlich macht, sich auch auf die Beweislast in Verfahren zur Lohngleichheit auswirken. Zu Artikel 3 Absatz 2 und 3 GG werde mit Blick auf die Lohngleichheit aber erst über zwölf Monate nach Zustellung der Anhörungsrügeentscheidung und damit verfristet vorgetragen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.06.2022, 1 BvR 75/20

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