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Cum/Ex-Geschäfte: Eventuell immer noch möglich
Erstattungen nicht gezahlter Kapitalertragssteuer durch so genannte Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte sind nach Ansicht mehrerer Wissenschaftler trotz Gesetzesänderungen und Gerichtsurteilen auch heute noch möglich. Dies verdeutlichte am 09.09.2002 eine öffentliche Anhörung des Bundestags-Finanzausschusses.
So erklärte Christoph Spengel (Professor der Universität Mannheim), diese Geschäfte seien seit Jahrzehnten trotz der Umstellung des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens bis heute am Markt durch gängige Gestaltungsmodelle anzutreffen. "Dem deutschen Staat entgehen jährlich Milliarden Euro an Kapitalertragsteuern beziehungsweise Kapitalertragsteuern werden erstattet, obwohl sie nicht vereinnahmt worden sind", so Spengel. Er bezeichnete dies als "unerträglichen Zustand" und forderte Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte endlich zu unterbinden. Es wurden in den Stellungnahmen aber auch andere Auffassungen deutlich.
Grundlage der Anhörung waren zwei Anträge von Oppositionsfraktionen. Die Fraktion Die Linke verlangt Maßnahmen, um Steuerskandale wie Cum/Ex zukünftig zu verhindern. Dafür sei der Mechanismus zur Einbehaltung und Erstattung von Kapitalertragsteuer zu modernisieren und ein lückenloser datenbankgestützter Abgleich von Erstattungsanträgen mit tatsächlichen Steuerzahlungen einzuführen, heißt es im Antrag der Linksfraktion (BT-Drs. 19/16836). Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag (BT-Drs. 19/5765) die Bundesregierung auf, alle Geschäftsmodelle zu bekämpfen, bei denen der Ertrag allein in einem angestrebten Steuervorteil besteht. Auch neue Cum/Ex-ähnliche Fälle müssten vermieden werden. Sämtliche früheren Cum/Ex-Fälle sollten aufgedeckt und verfolgt werden. Mit einem europaweiten Schaden von geschätzt 55 Milliarden Euro seien Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte "der größte Raubzug der Geschichte", schreibt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dem Antrag.
Nach Ansicht von Rechtsanwalt Alexander Heist, der von der "Bürgerbewegung Finanzwende" beauftragt worden war, erscheint es auch heute noch möglich, "dass so gut wie keine Kapitalertragsteuer auf Dividendenauszahlungen beim Fiskus ankommt". Aufgrund von Ansprüchen aus Doppelbesteuerungsabkommen könne es darüber hinaus weiterhin zur mehrfachen Erstattung nicht gezahlter Steuer kommen. Trotz verschiedener Maßnahmen der Finanzverwaltung - wie zum Beispiel keine Steuererstattungen mehr an Briefkastenfirmen auszubezahlen - bestehe Anlass zu der Annahme, dass die Cum/Ex-Geschäfte mit veränderter Struktur bis zum heutigen Tage weiterlaufen würden. Der Journalist Oliver Schröhm berichtete von "Mutationen von Cum/Ex", die weiterhin möglich seien.
Eine andere Auffassung vertrat dagegen Tim Florstedt, Professor an der Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Er kann keinen akuten und dringlichen Handlungsbedarf nicht erkennen. Die gesetzlichen Maßnahmen und nicht zuletzt die strafrechtliche Aufarbeitung hätten die erhoffte Eindämmung des saisonalen Aktienhandels erbracht. Dubiose Fondsangebote mit besonderen Dividendenstrategien würden kaum noch vermarktet. "Die Volumina des steuermotivierten Aktienhandels scheinen spürbar zurückgegangen zu sein", erklärte Florstedt. Abstrakte Gesetzeslücken würden vorauseilend und zügig geschlossen. Florstedt thematisierte Probleme mit seiner Ansicht nach überschießenden Regelungen, die zum Beispiel die international übliche Wertpapierleihe unüberlegt einschränken würden.
Auch Professor Heribert Anzinger (Universität Ulm) sprach die komplexe Steuergesetzgebung an: "Widersprüche im System der Kapitaleinkommensbesteuerung, etwa die unterschiedliche Behandlung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen aus Aktien, die unterschiedliche Behandlung von Dividenden und Dividendensurrogaten und das überkomplexe System des Kapitalertragsteuerabzugs mit seinem Zuständigkeitskonflikten, Ausnahmen, Rückausnahmen und Missbrauchsvorschriften bedarf zuletzt zur Abstimmung mit der Besteuerung von Arbeits- und Unternehmenseinkommen einer grundlegenden Reform." Anzinger forderte ein einfaches widerspruchsfreies Kapitalertragssteuersystem und eine folgerichtig ausgestaltete Kapitaleinkommensbesteuerung. Dies würde nicht nur zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips beitragen, sondern wesentlich auch die Vollzugskosten und die Gestaltungsanfälligkeit des deutschen Steuersystems verringern, so das Fazit von Anzinger. Auch der Bundesrechnungshof regte Vereinfachungen an.
Helmut Lotzgeselle, Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht, erläuterte mehrere Urteile zu Cum/Ex und Cum/Cum. Es bestehe dringender Handlungsbedarf für die Finanzverwaltung, die Cum/Cum-Geschäfte unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs aufzugreifen, forderte Lotzgeselle in seiner Stellungnahme.
Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, erklärte, wenn die Steuerfahndung energischer aufgestellt worden wäre und früher hätte durchgreifen können, würde man sich heute leichter tun. Die "Steuerakrobaten" seien dem Fiskus immer voraus, beklagt er. Jörg Klöckner vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Düsseldorf wies darauf hin, dass es weitere Cum/Ex-Verfahren geben werde. Er zeigte sich aber überzeugt, dass die Behörden am Ende erfolgreich arbeiten würden. Die umfassendsten Fälle sollten inzwischen aufgegriffen worden seien, hieß es vom Bundeszentralamt für Steuern auf Fragen nach drohender Verjährung.
Deutscher Bundestag, PM vom 09.09.2020