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Bekämpfung aggressiver Steuerplanung: Anwaltliche Pflicht zu Information anderer beteiligter Intermediäre nicht erforderlich

15.12.2022

Im Kampf gegen aggressive Steuerplanung ist die Verpflichtung des Rechtsanwalts, die anderen beteiligten Intermediäre zu informieren, nicht erforderlich und verletzt das Recht auf Achtung der Kommunikation mit seinem Mandanten. Alle anderen an einer solchen Planung beteiligten Intermediäre unterlägen, wie der Steuerpflichtige selbst, dieser Meldepflicht, wodurch garantiert werden könne, dass die Steuerverwaltung informiert ist, so der Europäische Gerichtshof (EuGH).

Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass alle Intermediäre, die an potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungen (Gestaltungen, die zu Steuerhinterziehung und Steuerbetrug führen können) beteiligt sind, diese den zuständigen Steuerbehörden melden müssen. Diese Verpflichtung betrifft alle, die an der Konzeption, Vermarktung, Organisation oder Verwaltung der Umsetzung dieser Gestaltungen beteiligt sind. Außerdem sind auch diejenigen erfasst, die Unterstützung oder Beratung leisten, oder sonst der Steuerpflichtige selbst.

Allerdings kann jeder Mitgliedstaat die Rechtsanwälte von dieser Pflicht befreien, wenn sie gegen eine nach nationalem Recht vorgesehene Verschwiegenheitspflicht verstoßen würde. In solchen Fällen sind die Intermediäre jedoch verpflichtet, andere Intermediäre oder, falls es keine solchen gibt, den relevanten Steuerpflichtigen unverzüglich über ihre Meldepflichten den zuständigen Behörden gegenüber zu unterrichten.

Das flämische Dekret zur Umsetzung dieser Richtlinie sieht somit vor, dass, wenn ein an einer grenzüberschreitenden Steuerplanung beteiligter Rechtsanwalt durch das Berufsgeheimnis gebunden ist, er andere Intermediäre davon informieren muss, dass er der Meldepflicht nicht nachkommen kann.

Zwei Berufsverbände für Rechtsanwälte haben sich an den belgischen Verfassungsgerichtshof gewandt. Ihrer Ansicht nach ist es unmöglich, der Verpflichtung zur Unterrichtung der anderen Intermediäre nachzukommen, ohne das Berufsgeheimnis zu verletzen, an das die Rechtsanwälte gebunden sind. Der belgische Verfassungsgerichtshof hat dem Gerichtshof dazu eine Frage vorgelegt.

Dieser weist zunächst darauf hin, dass Artikel 7 EU-Grundrechte-Charta die Vertraulichkeit jeder Korrespondenz zwischen Privatpersonen schützt und dem Schriftwechsel zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten einen verstärkten Schutz zuweist. Dieser besondere Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses werde dadurch gerechtfertigt, dass den Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft als grundlegende Aufgabe die Verteidigung der Rechtsunterworfenen übertragen ist. Deswegen müsse es dem Einzelnen möglich sein, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, was in allen Mitgliedstaaten anerkannt werde. Das Berufsgeheimnis umfasse auch die Rechtsberatung, und zwar sowohl im Hinblick auf ihren Inhalt als auch im Hinblick auf ihre Existenz. Abgesehen von Ausnahmefällen müssten die Mandanten daher zu Recht darauf vertrauen dürfen, dass ihr Anwalt ohne ihre Zustimmung niemandem offenlegen wird, dass sie ihn konsultieren.

Die in der Richtlinie vorgesehene Pflicht des an das Berufsgeheimnis gebundenen Rechtsanwalt-Intermediärs, die anderen Intermediäre unverzüglich über die Meldepflichten zu unterrichten, die ihnen obliegen, habe aber die Folge, dass diese anderen Intermediäre von der Identität des Rechtsanwalt-Intermediärs Kenntnis erlangen. Sie erführen auch von seiner Analyse, wonach die in Rede stehende Steuergestaltung meldepflichtig ist, und von der Tatsache, dass er zu diesem Thema konsultiert wird. Diese Unterrichtungspflicht führe zu einem Eingriff in das in Artikel 7 der EU-Grundrechte-Charta garantierte Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Da die anderen Intermediäre verpflichtet sind, die zuständigen Steuerbehörden über die Identität und die Konsultierung des Rechtsanwalts zu informieren, bewirke diese Verpflichtung mittelbar auch einen zweiten Eingriff in das Recht auf das Berufsgeheimnis.

Dann prüft der EuGH, ob diese Eingriffe gerechtfertigt sein können, insbesondere ob sie von der EU anerkannte, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen verfolgen und ob sie zur Verfolgung dieser Zielsetzungen erforderlich sind. Er weist darauf hin, dass sich die 2018 vorgenommene Änderung der Richtlinie in den Rahmen einer internationalen steuerlichen Zusammenarbeit einfügt, mit der zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug beigetragen werden soll, die eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen darstellt. Die Unterrichtungspflicht des Rechtsanwalts, der dem Berufsgeheimnis unterliegt, sei für die Erreichung dieser Ziele jedoch nicht erforderlich. Alle Intermediäre seien nämlich zur Vorlage dieser Informationen bei den zuständigen Behörden verpflichtet. Kein Intermediär könne behaupten, dass er die Meldepflichten, die in der Richtlinie klar aufgeführt sind und denen er unmittelbar und individuell unterliegt, nicht gekannt hat.

Die Richtlinie mache den Rechtsanwalt-Intermediär zu einer Person, von der andere Intermediäre a priori keine Initiative erwarten können, die sie von ihren eigenen Meldepflichten entbinden könnte. Die Offenlegung der Identität und der Konsultierung des Rechtsanwalt-Intermediärs durch die unterrichteten Drittintermediäre an die Steuerverwaltung sei auch nicht erforderlich, um die Ziele der Richtlinie zu verfolgen, so der EuGH. Durch die Meldepflicht der anderen nicht unter die Verschwiegenheitspflicht fallenden Intermediäre und in Ermangelung solcher Intermediäre durch die dem relevanten Steuerpflichtigen obliegende Meldepflicht werde grundsätzlich gewährleistet, dass die Steuerverwaltung informiert wird. Außerdem könne die Steuerverwaltung, nachdem sie eine solche Information erhalten hat, bei Bedarf ergänzende Informationen unmittelbar vom relevanten Steuerpflichtigen verlangen, der sich dann für Beistand an seinen Rechtsanwalt wenden kann. Die Steuerverwaltung könne auch eine Überprüfung der steuerlichen Situation dieses Steuerpflichtigen durchführen.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die nach der Richtlinie vorgesehene Unterrichtungspflicht nicht erforderlich ist und folglich das Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant verletzt.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 08.12.2022, C-694/20

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