Quellensteuer: Frankreich soll Vorschriften für an Versicherungsunternehmen in anderen EWR-Staaten ausgeschüttete Dividenden ändern
«OMO»: Darf nicht mehr in überdimensioniertem Karton verkauft werden
Asylrecht: Am Ort internen Schutzes im Heimatland muss Existenz nur auf Mindestniveau gesichert sein
Von einem Ausländer, dem in einem Teil seines Herkunftslandes Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, kann in Bezug auf die materiellen Existenzbedingungen vernünftigerweise bereits dann erwartet werden, sich an einem für ihn erreichbaren sicheren Landesteil niederzulassen (so genannter Ort des internen Schutzes nach § 3e Asylgesetz – AsylG), wenn sein wirtschaftliches Existenzminimum dort ohne Verstoß gegen Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleistet ist. Dies gilt laut Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jedenfalls dann, wenn sich die allgemeinen Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat auf einem niedrigen Niveau befinden.
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben 1996 geborener afghanischer Staatsangehöriger, stammt aus der Provinz Nangarhar. Sein im November 2015 gestellter Asylantrag und die nachfolgend erhobene Klage blieben ohne Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat die auf den subsidiären Schutz beschränkte Berufung zurückgewiesen, weil dem Kläger jedenfalls in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif interner Schutz zur Verfügung stehe. Diese Städte könne er legal und sicher erreichen, auch drohe ihm dort weder Verfolgung noch die Gefahr eines ernsthaften Schadens. Die Niederlassung dort sei für ihn zumutbar und könne daher von ihm auch "vernünftigerweise erwartet" werden. Maßstab hierfür sei, dass dort ein die Gewährleistungen des Artikel 3 EMRK beziehungsweise Artikel 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union wahrendes Existenzminimum gewährleistet sei und auch keine anderweitige schwerwiegende Verletzung grundlegender Grund- oder Menschenrechte oder eine sonstige unerträgliche Härte drohe. Dies müsse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden können; die Bundesrepublik Deutschland trage insoweit die materielle Beweislast. Weitergehende Anforderungen an die Qualität der Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes (zum Beispiel ein auf Dauer gesichertes Leben zumindest etwas oberhalb des Existenzminimums) seien aus dem System des internationalen Schutzes nicht abzuleiten.
Das BVerwG hat den Maßstab des VGH bestätigt. Ob eine Niederlassung in einem sicheren Landesteil bei umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist ("vernünftigerweise erwartet werden kann"), erfordere neben der Abwesenheit einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden oder einer anderweitigen schwerwiegenden Verletzung grundlegender Grund- oder Menschenrechte unter anderem, dass das wirtschaftliche Existenzminimum des Ausländers unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes als auch seiner persönlichen Umstände gewährleistet ist. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür sei die Sicherung der Existenz auf einem Mindestniveau, das eine Verletzung des Artikels 3 EMRK vermeidet. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Subsidiarität des externen internationalen Flüchtlingsschutzes gegenüber der internen Schutzgewähr im Herkunftsstaat, aus der Zielsetzung des internen Schutzes, Schutz vor flüchtlingsrechtlich relevanten Gefahren zu gewährleisten, sowie aus der Entstehungsgeschichte des § 3e AsylG und der durch diesen umgesetzten unionsrechtlichen Regelungen, die insoweit an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anknüpfen.
Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) sah das BVerwG keine Veranlassung. Soweit teilweise darauf abgestellt werde, dass der Ausländer am Ort des internen Schutzes ein "(relativ) normales Leben" führen können muss, weise dies angesichts des allgemeinkundig niedrigen Niveaus der allgemeinen Lebensverhältnisse in Afghanistan in der vorliegenden Konstellation nicht auf eine entscheidungserhebliche, durch den EuGH klärungsbedürftige Maßstabsdifferenz.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2021, BVerwG 1 C 4.20