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Arbeitnehmervereinigung: Verfassungsbeschwerde wegen Aberkennung der Tariffähigkeit durch Arbeitsgerichte erfolglos

06.07.2022

Die Arbeitnehmervereinigung DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte, mit denen ihr auf Antrag konkurrierender Gewerkschaften und einiger Länder die Tariffähigkeit aberkannt worden war, gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die zunächst für Kaufmannsgehilfen gegründete Arbeitnehmervereinigung beanspruchte zuletzt eine Tarifzuständigkeit in unterschiedlichen Branchen und Berufen, darunter Banken, Einzelhandel, gesetzliche Krankenkassen, Versicherungsgewerbe, Fleischindustrie, IT-Dienstleistungen, Wirtschaftsprüfung, Anwaltschaft und Reiseveranstaltung. Nach eigenen Angaben hatte sie Anfang 2020 in einem Bereich, in dem etwa 6,3 Millionen Beschäftigte organisiert sind, selbst 66.826 Mitglieder.

Die Arbeitsgerichte entschieden auf Antrag mehrerer konkurrierender Gewerkschaften sowie der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen, der Vereinigung die Tariffähigkeit abzuerkennen. Die DHV besitze nicht mehr die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit, um sie als Tarifpartei anzuerkennen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Die Arbeitsgerichte verletzten ihr Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG). Sie missachteten zudem die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Bestimmtheitsgrundsatz, denn höchstrichterliche Rechtsprechung sei kein Ersatzgesetzgeber.

Das BVerfG erachtete die Verfassungsbeschwerde als teilweise unzulässig. So fehle die hinreichend substantiierte Auseinandersetzung damit, dass die Gerichte für Arbeitssachen nicht nur befugt, sondern sogar gehalten seien, die Tariffähigkeit im Licht des Artikels 9 Absatz 3 GG näher zu fassen, wenn und solange der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft nicht regelt. Nach den Darlegungen sei auch nicht erkennbar, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) über das verfassungsrechtlich zulässige Maß der Rechtsfortbildung hinausgegangen wäre.

Auch in der Sache verletzten die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Artikel 9 Absatz 3 GG nicht, so das BVerfG weiter. Die Einwände gegen die Rechtsprechung des BAG zu den Mindestvoraussetzungen einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung griffen nicht durch. Insbesondere beurteile das BAG die Organisationsstärke im Wege einer grundrechtsfreundlichen Gesamtwürdigung. Es verzichte auf starre Schemata, wie etwa prozentuale Schwellenwerte, um den sich stetig verändernden Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen gerecht werden zu können. Zudem gehe es davon aus, dass nicht in jedem Zuständigkeitsbereich einer Gewerkschaft ein signifikanter Organisationsgrad vorliegen muss, sondern nur in einem nicht unwesentlichen Teil. Dabei berücksichtige es die große Zahl sehr unterschiedlich zusammengesetzter, ökonomisch unterschiedlich situierter und rechtlich unterschiedlich verfasster Gegenspieler. Zudem könnten in einem nennenswerten Umfang mit einer gewissen Kontinuität erreichte Tarifabschlüsse die für die Tariffähigkeit erforderliche Durchsetzungskraft belegen. Dabei sinke die Indizwirkung, je geringer der Organisationsgrad im beanspruchten Zuständigkeitsbereich ist, und verliere jede Aussagekraft, wenn die Gewerkschaft selbst ihre Zuständigkeit umfassend ändert. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das BAG damit davon ausgeht, dass die Tariffähigkeit nicht durch Tarifabschlüsse entsteht, sondern eine Voraussetzung für diese ist.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.05.2022, 1 BvR 2387/21

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