Mitglied werden
Suche
Vor Ort
Presse
Menü

Veränderung pro Sekunde

Login
Menü schließen

Menü schließen

Sie sind hier:  Startseite  Bayern  Newsticker-Archiv    Abgasskandal und Verjährung: Anspruch na...

Abgasskandal und Verjährung: Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB bei Erwerb vom Dieselskandal betroffenen Neuwagens

24.02.2022

Käufern von vom so genannten Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verjährt ist, steht ein Anspruch gegen den Hersteller aus § 852 Satz 1 BGB zu. Dies stellt der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Verfahren klar.

In beiden Verfahren nehmen die Kläger die beklagte VW AG auf Schadenersatz in Anspruch. Der Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21 erwarb im April 2013 für rund 30.200 Euro einen Neuwagen VW Golf Cabrio "Life" TDI von der Beklagten als Herstellerin, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Das Fahrzeug war bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 erwarb im Juli 2012 für 36.189 Euro einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen VW EOS 2.0 l TDI von einem Händler. Dieser Neuwagen war ebenfalls mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen.

Ab September 2015 wurde – ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 – über den so genannten Abgasskandal betreffend Motoren des Typs EA 189 in den Medien berichtet. Beide Kläger ließen ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.

Das Landgericht (LG) hat auf die 2020 erhobene Klage im Verfahren VIa ZR 8/21 die Beklagte wegen einer sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung des Klägers unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zur Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt. Die weitergehende Klage auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht (OLG) die vom LG zugesprochenen Klageanträge abgewiesen und die Anschlussberufung des Klägers, mit der er seinen Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten weiterverfolgt hat, zurückgewiesen.

Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB gegen die Beklagte. Dieser Anspruch sei aber verjährt. Wenn der Kläger im Jahr 2015 keine Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal erlangt habe, habe seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ihm sei eine Klage gegen die Beklagte auch zumutbar gewesen. Die Beklagte dürfe sich in zweiter Instanz auf die Einrede der Verjährung berufen, obwohl sie in der ersten Instanz in der mündlichen Verhandlung vor dem LG die Einrede der Verjährung zunächst fallen gelassen habe. Einen (unverjährten) Anspruch auf Gewährung von Restschadenersatz nach § 852 Satz 1 BGB könne der Kläger nicht geltend machen. Zwar habe er das Fahrzeug als Neuwagen direkt von der Beklagten erworben. Der Schutzzweck des § 852 Satz 1 BGB sei aber nicht zugunsten des Klägers eröffnet. Die Vorschrift setze voraus, dass dem Geschädigten eine Rechtsverfolgung vor Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erschwert oder unmöglich gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, zumal der Kläger Ansprüche in einem Musterfeststellungsverfahren habe anmelden können. Mangels Bestehens eines Schadenersatzanspruchs scheide die Feststellung des Annahmeverzugs aus. Das OLG hat die Revision "hinsichtlich des Herausgabeanspruchs nach Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen. Diese hat der Kläger eingelegt.

Im Verfahren VIa ZR 57/21 hat das LG die 2020 erhobene Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung von Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Überlassung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten abgewiesen. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Zwar lägen die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs nach § 826 BGB vor. Dieser Anspruch sei jedoch mit Ablauf des 31.12.2019 verjährt, weil die Klägerin im Februar 2016 aufgrund eines Informationsschreibens der Beklagten Kenntnis nicht nur vom "so genannten Diesel- oder Abgasskandal allgemein", sondern auch von der individuellen Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangt habe und ihr ab 2016 eine Klage gegen die Beklagte zumutbar gewesen sei. Die Beklagte habe sich auf die Einrede der Verjährung berufen und berufen dürfen, ohne dass ihr ein Verstoß gegen Treu und Glauben zur Last falle.

Der Klägerin stehe nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB kein Anspruch auf "Restschadenersatz" aus § 852 BGB zu. Zwar sei § 852 BGB grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn der Geschädigte schon vor Eintritt der Verjährung in der Lage gewesen sei, seinen Schadenersatzanspruch gerichtlich geltend zu machen. Die Klägerin habe indessen trotz eines entsprechenden Hinweises bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz keine Angaben zu dem von der Beklagten aus dem Verkauf des Fahrzeugs an den Händler erzielten Gewinn gemacht.

Das OLG hat die Revision "in Anbetracht der divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang des im Fall des Neuwagenkaufs über einen Vertragshändler im Sinne des § 852 Satz 1 BGB Erlangten" zugelassen. Diese hat die Klägerin eingelegt

Der BGH hat in beiden Verfahren die Berufungsurteile insoweit aufgehoben, als die Berufungsgerichte einen Anspruch auf Schadenersatz auf der Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht entsprochen haben. Soweit die Kläger Ersatz vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat der BGH die klageabweisenden Entscheidungen bestätigt. Das galt in der Sache VIa ZR 57/21 auch, soweit die Klägerin dort Ersatz der von ihr aufgewandten Finanzierungskosten beansprucht hat.

Der BGH ist davon ausgegangen, die Revision könne nicht wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungsgerichte einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechtsfehlerfrei verneint hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen.

Im Verfahren VIa ZR 57/21 sei von einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen, weil die Klägerin im Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein Software-Update hatte aufspielen lassen. Im Verfahren VIa ZR 8/21 hat sich der Via. Zivilsenat des BGH der Auffassung seines VII. Zivilsenats angeschlossen, den Kläger habe jedenfalls ab 2016 jedenfalls der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal getroffen. Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen und sei am 31.12.2019 abgelaufen, sodass sie durch die Erhebung der Klagen im Jahr 2020 nicht mehr wirksam habe gehemmt werden können.

Der VIa. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass sich die Beklagte auch im Verfahren VIa ZR 8/21 auf die Einrede der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB berufen könne, obwohl sie auf diese Einrede in erster Instanz "verzichtet" habe. Diesen Verzicht habe das OLG zutreffend nicht als endgültigen materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide Berufungsgerichte auch entschieden, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

Nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB stehe den Klägern in beiden Verfahren aber ein Anspruch auf Restschadenersatz nach § 852 Satz 1 BGB zu. Dieser bestehe ohne Rücksicht darauf, dass die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen werden können. Der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe auch nicht entgegen, dass sich die Kläger nicht an einem Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte beteiligt hätten.

Nach § 852 Satz 1 BGB müsse die Beklagte, die die Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die Beklagte im Verfahren VIa ZR 8/21 zunächst einen Anspruch gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Absatz 1 Halbsatz 2 BGB den Kaufpreis erlangt. Im Verfahren VIa ZR 57/21 habe die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fort, der geringer war als der von der Klägerin später gezahlte Kaufpreis und dessen Höhe zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht in Streit stand. Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten Rechtsanwälte und von der Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 verauslagte Finanzierungskosten, sodass sich der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB – anders als der verjährte Anspruch aus § 826 BGB – nicht auf solche Schäden erstrecke.

Von dem erlangten Kaufpreis (VIa ZR 8/21) beziehungsweise Händlereinkaufspreis (VIa ZR 57/21) könne die Beklagte Herstellungs- und Bereitstellungskosten nach § 818 Absatz 3 BGB nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der §§ 818 Absatz 4, 819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der Anspruch auf Restschadenersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht weiter als der Anspruch auf Schadenersatz aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliege. Die Kläger müssten sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen.

Da die Vorinstanzen – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen zur Höhe einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung getroffen haben, hat der VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe anzurechnender Vorteile an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.

Bundesgerichtshof, Urteile vom 21.02.2022, VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21

Mit Freunden teilen